MUSICA OBLITA

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Sinfonie d-Moll op. 19/24 P 220

Auf der Biographieseite wurde bereits darauf hingewiesen, dass Danzi ab 1800 geradezu explosionsartig Instrumentalkompositionen zu veröffentlichen begann; angesichts der Vielzahl der innerhalb weniger Jahre im Druck erschienenen Kompositionen liegt der Gedanke nahe, Danzi habe auch das eine oder andere ältere Werk dem Druck übergeben. 

Belegt wird diese Vermutung durch die Entstehungsgeschichte der Sinfonie d-Moll P 220, bei der Entstehungszeit und Publikationsdatum ein Jahrzehnt oder mehr auseinander liegen könnten. Das legt jedenfalls die Quellenlage nahe: Neben dem im Frühjahr 1804 erschienenen Stimmdruck und einem nicht datierten Autograph existiert ein abschriftlicher Stimmsatz, der vermutlich bis in die erste Hälfte der 1790er Jahre zurückreicht. Wahrscheinlich hat Danzi das Werk vor der Drucklegung überarbeitet und für die Drucklegung das ohne jede Korrekturspur abgefasste (undatierte) Autograph neu verfasst bzw. nach diesem Autograph die Druckvorlage herstellen lassen. 

Der Anlass für die erneute Befassung mit dem ein Jahrzehnt alten Werk könnte die Verbindung mit dem Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel gewesen sein, der, wie aus Danzis Antwortschreiben vom 21. September 1803 zu schließen ist[1], kurz zuvor an Danzi herangetreten war, offenbar zuerst in der Absicht, Danzi als Mitarbeiter für die bei Breitkopf & Härtel erscheinende Allgemeine musikalische Zeitung zu gewinnen. Von Musikalien ist in Danzis Brief nicht die Rede[2]; es muss aber schnell zu einer Einigung zwischen Verlag und Komponist über die Herausgabe musikalischer Werke gekommen sein; denn bereits im November 1803 zeigte der Verlag im „Intelligenzblatt“ der Allgemeinen musikalischen Zeitung das Erscheinen einiger Vokalkompositionen Danzis an.[3] Im chronologisch nächsten erhalten gebliebenen Brief an den Verlag vom 15. November 1803 meldet Danzi dann, dass er die Manuskripte zweier Sinfonien (außer dem vorliegenden Werk die Sinfonie C-Dur P 221) an den Verlag abgesandt habe:  Mit nächstem Postwagen werden Sie, meine Wohlgebornen Herren, zwei meiner Sinfonien [...] erhalten.[4] Noch vor Erscheinen des Stimmdrucks erklang die Sinfonie am 09. Februar 1804 in Leipzig in einem Gewandhaus-Konzert[5]; das Erscheinen des Druckes wurde vom Verlag im April 1804 in verschiedenen Annoncen angezeigt. [6]

Wie für die Sinfonie P 218 existieren auch von dieser Sinfonie zwei verschiedene Fassungen, denn die erwähnte frühe Abschrift aus den 1790er Jahren weicht erheblich vom (mutmaßlich später verfassten) Autograph und dem Stimmdruck von 1804 ab. Im Unterschied zur früheren Sinfonie ist hier aber der Wille des Komponisten eindeutig, denn da relative Chronologie und Priorität der Quellen klar sind, darf der in den späteren Quellen (dem Autograph und dem Stimmdruck)  überlieferte Notentext als „Fassung letzter Hand“ angesehen werden. 

Obwohl in der d-Moll-Sinfonie auf eine Langsame Einleitung verzichtet wird, weist das Werk mancherlei Gemeinsamkeiten mit den beiden frühen Sinfonien P 218 und P 219 auf; so sind die scheinpolyphonen Texturen, die im Kopfsatz und Finale von P 218 dominierten, auch in den entsprechenden Sätzen (und sogar im Mittelteil des Menuetts) von P 220 anzutreffen, im Kopfsatz allerdings weniger deutlich als im Finale. Wie in den beiden früheren Sinfonien gibt es keine Expositionswiederholung in den Ecksätzen, und wie in den beiden früheren Sinfonien gewinnt im ersten Satz das Anfangsthema eine strukturelle Bedeutung, die über seine Funktion als Hauptthemenkopf im Rahmen einer Sonatenform hinaus geht: Der kraftvolle Themenbeginn im Unisono mit dem durch Auftakte akzentuierten chromatischen Abwärtsgang wird im Anschluss an den wie ein tonal stabiles Intermezzo wirkenden Seitensatz in F-Dur zum Bassfundament einer dramatisch bewegten Sequenz, die schließlich einer entspannten Schlussgruppe in F-Dur weicht. 

Auch formal zeigt sich Danzi hier innovativ; Durchführungsende und Reprisenbeginn sind eng miteinander verzahnt, indem als tonale Reprise nicht die Wiederaufnahme des Satzbeginns erscheint, sondern eine Wiederholung jener erwähnten dramatischen Sequenz – jetzt aber von der Grundtonart d-Moll ausgehend; der aufwärts sequenzierende Charakter dieser Passage verhindert jedoch die Festigung der Grundtonart. Eine deutliche Reprisenwirkung stellt sich erst mit dem durch eine Fermate auf der Dominante hervorgehobenem Beginn des Seitensatzes ein, der nun in der Variante der Grundtonart D-Dur steht. 

Der zweite Satz in A-Dur ist ähnlich aufgebaut wie der entsprechende Satz in P 218, als Andante mit einem ständig wiederkehrenden Romanzenthema, das durch zwei Intermezzi, die in verwandten Tonarten (E-Dur, D-Dur) stehen, unterbrochen wird; selbst der konzertierende Gestus (in diesem Fall von Oboe und Horn) findet sich hier (im zweiten Zwischenspiel) wieder. 

Der Anfang des Menuetts nimmt interessanterweise den melodischen Beginn des Kopfsatzes von P 219 wieder auf, die charakteristische Mollterz und –sexte, die in dem älteren Werk von struktureller Bedeutung waren. Freilich wird man hier kaum an eine bewusste Anknüpfung zu denken haben, eher an eine Assoziation von melodisch einprägsamem Material. Das kontrastierende Trio in D-Dur ist in sich selbst kontrastierend, im Nacheinander von solistischen Bläsermelodien und durch Punktierungen hervorgehobenen akkordischen Kadenzgängen. 

Der Finalsatz in D-Dur, schlicht Allegro überschrieben, weist eine ähnlich eigenwillige Formgebung auf wie der Kopfsatz: Zwar handelt es sich von Themenbildung und Aufbau her eindeutig um einen Sonatensatz mit einer kraftvollen Eröffungsgeste im Unisono, einem dreiklangsbetonten, verspielten Hauptthema und einem von Scheinpolyphonie und Sequenzgängen geprägten Seitenthema in der Dominante, aber durch die Wiederaufnahme des Hauptthemas in der Grundtonart D-Dur vor Durchführungsbeginn weist er auch Merkmale eines Rondos auf. Überdies sind – wie im Kopfsatz – Durchführungsende und Repriseneintritt miteinander verschränkt: Die Wiederaufnahme des Satzanfangs am Reprisenbeginn wird chromatisch verzerrt und vollzieht sich über einem Orgelpunkt, der mannigfachen Ausweichungen in entfernte Tonarten Platz gibt – erst der Eintritt des Seitensatzes in D-Dur klärt die tonalen Verhältnisse endgültig.

Bert Hagels

[1] Franz Danzi, Briefwechsel (1785-1826), herausgegeben und kommentiert von Volkmar von Pechstaedt, Tutzing 1997, S. 28, 31.

[2] Danzi lehnte das Angebot zur Mitarbeit an der AmZ zwar ab, nutzte sein Antwortschreiben aber für ein grundsätzliches ästhetisches Bekenntnis und legte „einige Gedanken über Mozart’s theatralische Werke“ bei, die tatsächlich im März 1804 in der AmZ erschienen (Jg. VI [1803/04], Sp. 421-424; Faksimile in: Danzi, Briefwechsel, a.a.O., S. 29f.)

[3] Vgl. Volkmar von Pechstaedt, Thematisches Verzeichnis der Kompositionen von Franz Danzi (1763-1826). Mit einem Anhang der literarischen Arbeiten Danzis, Tutzing 1996, P 48, 172, 191-193.

[4] Franz Danzi, Briefwechsel (1785-1826), herausgegeben und kommentiert von Volkmar von Pechstaedt, Tutzing 1997, S. 32.

[5] Vgl. Alfred Dörffel, Statistik der Concerte des Gewandhauses zu Leipzig, Leipzig 1881, S. 18. Dörffel und der im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig aufbewahrte Programmzettel des Konzerts weisen zwar nur eine „Sinfonie von Danzi“ aus; da aber die chronologisch folgende Aufführung einer Sinfonie Danzis im Gewandhaus (am 29.11.1804) nachweislich die Sinfonie C-Dur op. 20/25 P 221 bringt (vgl. die Konzertrezension in: AmZ VII [1804/05], Sp. 216), so darf unterstellt werden, dass es sich bei der ersten Aufführung einer Sinfonie Danzis im Gewandhaus um die andere von Breitkopf & Härtel publizierte Sinfonie (P 220) handelt.

[6] Nachweise bei Pechstaedt, Thematisches Verzeichnis, a.a.O., S. 118; weitere Nachweise: Anzeige Breitkopf & Härtels im „Kaiserlich privilegierten Reich-Anzeiger“ vom 25.04.1804; Bücherverzeichnis der Ostermesse 1804 („Allgemeines Bücher-Verzeichnis usw. Ostermesse 1804“, Leipzig 1804, S. 243).

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