MUSICA OBLITA

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Sigismund Neukomm (1778-1858)

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte Sigismund Neukomm (1778–1858) zu den angesehensten und best beleumundeten Komponisten Europas. Seine Werke erklangen zum feierlichen Einzug König Louis XVIII. in Paris nach dem Sieg über Napoléon, wie auch zur Gedächtnisfeier für den 1793 auf dem Schafott hingerichte­ten Louis XVI. während des Wiener Kongresses in Wien (21. Januar 1815); zum Dank übrigens ernannte ihn der König von Frankreich zum Ritter der Ehrenlegion, ein Titel, auf den Neukomm stolz war und den er fortan auf die Titelblätter seiner Kompositionen drucken ließ. Bei der Feier zur Enthüllung des Mozart–Denkmals in Salzburg im September 1842 hielt Neukomm die Festrede und dirigierte eine Aufführung von Mozarts „Requiem“. Einen Teil seines Erfolges dürfte er wohl auch der Tatsache zu verdanken haben, dass er ein Schützling des mächtigen französischen Diplomaten Charles–Maurice de Talleyrand–Périgord war, der ihm Verbindungen zum französischen Hochadel eröffnete und ihm, wie Neukomm in seiner „Biographischen Skizze“ schreibt, „mehr als 20 Jahre Kost und Logis“ gewährte.[1]

Geboren wurde Neukomm am 10. Juli 1778 in Salzburg als ältestes Kind des ehrgeizigen Schullehrers David Neukomm und seiner Gattin Kordula, geb. Rieder.[2] Seinen Vornamen erhielt er nach seinem Paten Sigmund Haffner (1756–1787), der als Widmungsträger der Haffner–Serenade KV 250 und der Haffner–Sinfonie KV 385 von Wolfgang Amadé Mozart in die Musikgeschichte eingegangen ist. Der junge Neukomm war zwar, wie er in der erwähnten „Biographischen Skizze“ schreibt, „kein Wunderkind wie der unsterbliche Mozart“,[3] gleichwohl konnte er schon im Alter von vier Jahren fließend lesen und im Alter von fünf ziemlich korrekt schreiben; der Vater sorgte wohl für diese frühkindliche Ausbildung. 

Kurze Zeit später erhielt er bereits Musikunterricht beim Salzburger Domorganisten Franz Xaver Weissauer. Mit sechs Jahren soll er bereits Orgel gespielt haben (wobei Weissauer das Pedal bediente); er übte sich aber auch auf anderen Instrumenten, Streichern wie Bläsern; unter den Orchesterinstrumenten wurde die Flöte sein Lieblingsinstrument. 

Alsbald erhielt er Unterricht in Harmonielehre bei Michael Haydn, dessen Gattin Maria Magdalena mit Neukomms Mutter verwandt war. Er scheint ein begabter und lernwilliger Schüler gewesen zu sein; denn bald schon durfte er seinen Lehrer an der Orgel vertreten, da war er höchstens 14 Jahre alt. Etwa zwei Jahre später ernannte man ihn zum Titularorganisten an der Salzburger Universitätskirche; nun verdiente er eigenes Geld. Kurze Zeit danach arbeitete er als Korrepetitor am Theater. 

Offenbar bestand sein Vater jedoch auch auf einer möglichst umfassenden wissenschaftlichen Ausbildung; bis 1796 studierte er an der Universität Salzburg, nach eigenen Angaben „Philosophie und Mathematik“. Mag sein, dass Neukomm nun, im Alter von 18 Jahren, das Gefühl hatte, dass ihm Salzburg zu eng wurde, dass es für ihn dort nicht mehr viel zu erlernen gab, jedenfalls zog es ihn nach Wien, wo er Ende März 1797 eintraf, mit einem Empfehlungsschreiben Michael Haydns an seinen ungleich berühmteren Bruder Joseph in der Tasche. 

Der ältere Haydn nahm ihn als Schüler an, aber nur, wie Neukomm in seiner „Skizze“ selbstbewusst hervorhebt, „im ästhetischen Teil der Kunst, denn ich hatte ja bereits meine theoretischen Studien [...] beendet.“[4] Bald verband Lehrer und Schüler ein freundschaftliches Verhältnis. Neukomm durfte Haydn „Vater“, im persönlichen Verkehr auch „Papa“ nennen. Haydn schätzte offenbar die musikalischen Fähigkeiten seines Schülers sehr: Er vertraute Neukomm die Erstellung von Klavierauszügen seiner beiden Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“ an; Neukomm arbeitete auf Wunsch Haydns das Oratorium „Il Ritorno di Tobia“ um und verfasste Arrangements von Schottischen Liedern für Haydn.[5] 

Seinen Lebensunterhalt verdiente Neukomm mit dem Erteilen von Klavier– und Gesangsunterricht; seine bekanntesten Schüler während seiner sieben Jahre in Wien (1797–1804) waren Anna Milder–Hauptmann (1785–1838) und Franz Xaver Wolfgang Mozart (1791–1844), genannt Wolfgang Amadeus, der Jüngere. Gelegentlich reiste er auch in die Heimat; am 12. August 1803 etwa gab er in Salzburg eine „grosse musikalische Akade­mie“, in der er Mozarts d–Moll–Klavierkonzert und eine eigene Klavierfantasie vortrug; seine jüngere Schwester Elise sang. Die Kritik zeigte sich begeistert von der „Akademie“: „Sie war ausgezeichnet, sowohl in der Wahl der Musikstücke, als auch in deren Ausführung.[6] Während der letzten Lehrjahre bei Haydn begann Neukomm selbst zu komponieren; im Januar 1804 legte er ein „Verzeichnis meiner Arbeiten in chronologischer Ordnung“ an, das er bis kurz vor seinem Tode fortführte, und das 1265 Werk­einträge enthält.[7]

Aus unbekanntem Grund[8] sah sich Neukomm im Mai 1804 genötigt, Wien zu verlassen und nach St. Petersburg zu gehen. Fast vier Jahre sollte er sich in Russland aufhalten, in mehrmonatigen Abständen zwischen St. Petersburg und Moskau pendelnd. Joseph Haydn hatte ihm ein Empfehlungsschreiben für die Kaiserin–Mutter Maria Feodorowna mitgegeben, die noch als Großfürstin zu Anfang der 1780er Jahre einige Stunden Unterricht bei ihm gehabt hatte und ihn sehr schätzte. Neukomm durfte Maria Feodorowna vorspielen und gewann alsbald die Unterstützung der Petersburger Künstler– und Dilettantenkreise. Ein glücklicher Zufall brachte ihm auch gleich eine Stellung ein: Der Direktor des Deutschen Theaters in St. Petersburg war gerade auf der Suche nach einem Kapellmeister; Neukomm verpflichtete sich für ein Jahr, dem Orchester des Deutschen Theaters vorzustehen. 

In seiner ersten Zeit in Russland komponierte Neukomm, wenn man von einigen für Haydn verfassten Liedbearbeitungen[9], zwei Werken für Flöte und einem Lied absieht, ausschließlich für das Theater: Bühnenmusiken, einzelne offensichtlich als Entre’actes gedachte Stücke und eine Oper Alexander am Indus NV 8/NV 13, die zum Krönungstag von Alexander I., am 27. September 1804, aufgeführt wurde und dem Komponisten Anerkennung einbrachte. Sein besonderes Interesse galt in dieser Zeit aber einer melodramatischen Musikbegleitung zu den Chören aus Friedrich Schillers 1803 erschienenem Drama Die Braut von Messina NV 15. Zu einer Aufführung kam es nicht, und auch zum Druck gelangte das Werk später nicht, was den einflussreichen (in diesem Fall aber erfolglosen) Kritiker Friedrich Rochlitz noch 1827 zum Versuch einer Rehabilitierung veranlasste.[10]

Er machte keine guten Erfahrungen als Theaterkapellmeister und war deshalb froh, diese Stellung nach Ablauf der Vertragsfrist aufgeben zu können, zumal ihn im Sommer 1805 ein gefährliches „Nervenfieber[11] an den Rand des Grabes brachte. Im Dezember zog er von Petersburg nach Moskau, dort fand er sich bald in einer nicht näher von ihm charakterisierten „ebenso angenehmen, wie einträglichen Stellung, die mir gestattete, unabhängig zu leben.[12] 

Ein wenig scheint seine Situation in Russland der seines Lehrers Haydn in Esterház geglichen zu haben; auch Neukomm hätte sagen können: „Niemand konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so mußte ich original werden.“ Denn nachdem er in Petersburg mit melodramatischer Begleitung zu antik verstandenen Chören experimentiert hatte, wandte er sich in Moskau groß besetzter Instrumentalmusik zu und erfand die Gattung „Fantasie für Orchester“, deren erster Beleg die Fantasie C–Dur op. 11 / NV 25 ist. 

In den nächsten anderthalb Jahren folgten drei weitere Orchesterfantasien. Es bedürfte näherer Untersuchung, inwieweit bei dieser Gattung Mozarts Klavierfantasien, insbesondere die in c–Moll KV 475, Pate gestanden oder als Muster gedient haben. Immerhin lag der Gedanke nahe, diese Klavierfantasie Mozarts zu instrumentieren, wie Ignaz von Seyfrieds Bearbeitung des Werkes (allerdings zusammen mit der Sonate c–Moll KV 457 zu einem Orchesterwerk vereint) von 1811 beweist; auf Empfehlung von Friedrich Rochlitz wurde diese Bearbeitung 1812 von Breitkopf & Härtel veröffentlicht und in der Allgemeinen musikalischen Zeitung anlässlich von gelegentlichen Aufführungen im Gewandhaus sehr positiv rezensiert.[13] 1813 ließ Seyfried eine weitere Orchesterfantasie in f–Moll (nach KV 608 und 478) folgen.[14]

Doch Neukomm komponierte in dieser Zeit ebenso Lieder, Klavierwerke und eine konventionelle Ouvertüre. Auch als ausführender Musiker trat er hervor; er leitete diverse Konzerte in St. Petersburg, in denen er insbesondere die Werke seines verehrten Lehrers aufführte, zu dem er kontinuierlich Briefkontakt hielt. Sein Ruf hatte längst die Grenzen Russlands überschritten; er hatte mittlerweile auch offizielle Würdigungen erfahren: 1807 war er zum Mitglied der Königlichen Musikakademie in Stockholm ernannt worden, ein Jahr später erfolgte die Berufung zum Mitglied der Philharmonischen Gesellschaft von St. Petersburg.

In der ersten Hälfte des Jahres 1808 schien ihm offenbar der Zeitpunkt gekommen, nach Westeuropa zurückzukehren. Ende Juni verließ er St. Petersburg und reiste über Riga, Memel und Königsberg nach Berlin, wo er sich drei Monate aufhielt und seine Freundschaft mit Carl Friedrich Zelter, dem Leiter der Berliner Singakademie und Berater Goethes in musikalischen Dingen, erneuerte. Auch in Leipzig hielt er sich im Sommer 1808 längere Zeit auf, um seine in Russland entstandenen Werke bei den dort ansässigen namhaften Verlagen an den Mann zu bringen, was ihm auch zumindest teilweise gelang. Mitte November 1808 traf er in Wien ein, wo er seinen verehrten Lehrer Haydn mittlerweile „sehr schwach geworden[15] vorfand. In der österreichischen Hauptstadt hielt er sich indes nur drei Monate auf, besuchte Haydn täglich und veranstaltete am 22. und 23. Dezember 1808 eine Aufführung von Haydns Oratorium „Il ritorno di Tobia“, von dem er, wie erwähnt, eine Bearbeitung angefertigt hatte. Am ersten Abend ließ er aber auch eine seiner Orchesterfantasien aufführen, vermutlich handelte es sich dabei um die Fantasie d–Moll op. 9 / NV 26.

Im Februar 1809 verließ er Wien und reiste über Salzburg (wo er seine Mutter ein letztes Mal traf) nach Montbéliard (Mömpelgard), wohin er von einem Mäzen, den er in Russland kennen gelernt hatte, eingeladen worden war. Ein Jahr später ließ er sich in Paris nieder; dort blieb er – abgesehen von kleineren Reisen in die französische Provinz – die nächsten vier Jahre. Anfangs hatte ihn die Große Oper in die französische Hauptstadt gezogen, doch es gelang ihm nicht, dort zu reüssieren. Aber er schloss Freundschaft mit Jan Ladislav Dussek (1760–1812), André–Ernest–Modest Grétry (1741–1813) und Luigi Cherubini (1760–1842), und – bedeutungsvoll für seine Zukunft – er fand Anschluss an den französischen Adel, die Fürstin von Lothringen–Vaudémont[16] protegierte ihn, und er lernte Fürst Talleyrand kennen. 

Nachdem 1812 Talleyrands Kapellmeister Dussek gestorben war[17], trat Neukomm an dessen Stelle. Im Gefolge Talleyrands ging Neukomm im September 1814 zum Kongress nach Wien; dort kam es am 21. Januar 1815 im Stephansdom zu jener anfangs erwähnten denkwürdigen Aufführung von Neukomms Requiem in c–Moll, das er im April 1813 vollendet hatte, und das dem Andenken seiner verehrten Lehrer Michael und Joseph Haydn sowie Franz Xaver Weissauer gewidmet war. Das ursprünglich a capella komponierte Werk wurde den Erfordernissen des Ortes und des Anlasses entspre­chend geändert; Neukomm fügte dem Werk (NV 111) instrumentale Zwischenstücke für Blechbläser (NV 136) und ein Offertorium (NV 138) hinzu, dessen Sopran–Solo von seiner Schwester Elise gesungen wurde.[18] 

Einen Abstecher über Karlsbad machend reiste er über Süd– und Westdeutschland und Belgien zurück nach Paris, wo er zusammen mit Fürst Talleyrand im September 1815 eintraf. Talleyrand dürfte es auch gewesen sein, der Neukomm mit dem Herzog von Luxemburg bekannt machte. Dieser wurde als außerordentlicher Gesandter von König Louis XVIII. nach Brasilien geschickt, um dem in Brasilien weilenden Johann VI. zu seiner Thronbesteigung als König von Portugal zu gratulieren. Der Herzog bot Neukomm an, ihn in die Neue Welt zu begleiten, was dieser dankbar annahm. Wieder profitierte Neukomm von der Fürsorge Talleyrands, denn dieser hatte ihm ein Empfehlungsschreiben an den Grafen Barca mitgegeben, ehemals portugiesischer Gesandter in Paris. Graf Barca fand an dem gewandt auftretenden, kosmopolitischen Komponisten so großes Gefallen, dass er ihn einlud, nach der Abreise des Herzogs von Luxemburg weiterhin in seinem Haus in Rio de Janeiro zu bleiben; Neukomm nahm an. 

Der Graf verschaffte ihm eine gut dotierte Stellung bei Hofe, die an keine Gegenleistung gebunden war. Neukomm machte sich jedoch erbötig, der Infantin Maria, dem Erbprinzen Pedro und dessen zukünftiger Gemahlin Leopoldine, einer Tochter Kaiser Franz I. von Österreich, Unterricht in Musik und französischer Sprache zu erteilen. Neukomm schien Gefallen am Leben in der Neuen Welt zu finden; denn als sein Gönner Graf Barca zwei Jahre nach seiner Ankunft plötzlich starb, nahm er das Anerbieten des späteren brasilianischen Gesandten in Paris, Grafen Saint–Amaro an, weiterhin in der brasilianischen Hafenstadt zu bleiben. Freilich sorgte er auch dafür, dass sein Name in Europa nicht ganz in Vergessenheit geriet; von Zeit zu Zeit erschienen Meldungen aus Rio de Janeiro in der Allgemeinen musikalischen Zeitung, in denen Schmeichelhaftes über den fernen Landsmann in Brasilien berichtet wird; es fällt nicht schwer zu unterstellen, dass Neukomm selbst sie lanciert hat.[19]

Erst im Frühjahr 1821 entschloss sich Neukomm – auf Empfehlung seines Arztes und aus Angst vor jenen Unruhen, die ein Jahr später zur Gründung des Kaiserreichs Brasilien führen sollten – zur Rückkehr nach Europa. Im Oktober war er wieder in Paris, herzlich empfangen von Talleyrand. Wiederum erwies sich auch die Fürstin von Lothringen–Vaudémont als hilfreich, indem sie ihn im Hause des Herzogs von Orléans einführte, des späteren Königs Louis–Philippe; dort galt Neukomm bald als „ami de la maison“.[20] 

Kompositorisch hatte er seit seiner Zeit in Russland mehrfache Wandlungen vollzogen; in seiner ersten Pariser Zeit (1810–14) traten dramatische Werke und Orchestermusik[21] in den Hintergrund, sein Hauptinteresse galt religiöser Musik und Liedern. In Brasilien blieb er zwar bei seiner Vorliebe für geistliche Musik, aber neben der Klaviermusik trat erneut auch die Orchestermusik in sein Blickfeld; allerdings führte er den in Russland eingeschlagenen Weg nicht weiter, sondern verlegte sich auf die hergebrachten Gattungen Sinfonie[22] und Ouvertüre[23]. Nach seiner Rückkehr nach Europa wandte sich Neukomm fast vollkommen der Kirchenmusik zu; vier Fünftel seiner knapp 50 Mess- und fünf Requiem-Vertonungen sowie seine großen Oratorien und Oratorienzyklen entstanden nach 1821. Nur gelegentlich komponierte er in den letzten 35 Jahren seines Lebens noch instrumentale Werke; ein paar Gelegenheitskompositionen, vor allem Märsche für verschiedene, vermutlich anlassgebundene Besetzungen entstanden noch, in den Jahren 1832 bis 1836 auch einige großbesetzte kammermusikalische Werke mit Bläsern[24]; als Ausnahme besonders erwähnenswert ist sicherlich die 1833 für die Philharmonic Society in London komponierte Fantaisie dramatique on some passages of Milton’s Paradise Lost[25] für gro­ßes Orchester (NV 426).

In den Jahren nach seiner Rückkehr nach Europa entwickelte sich Neukomm zu einem unsteten Wandersmann; nach 1826 – bis dahin hatte er vornehmlich in Paris gelebt – vermochte kein Ort ihn längere Zeit festzuhalten. In den 1820er Jahren bereiste er (außer Frankreich) Italien, die Schweiz, die Niederlande und Großbritannien; Ende 1830 folgte er für einige Zeit Talleyrand, der von König Louis–Philippe als französischer Botschafter nach England gesandt worden war, nach London. 

Mit seinen Oratorien war er ein gern gesehener Gast der großen Musikfeste auf der briti­schen Insel, etwa 1833 und 1837 in Birmingham; aber auch auf dem Kontinent wusste man die Attraktivität seines Namens zu schätzen: 1837 dirigierte er die musikalische Feier zur Enthüllung des Gutenberg–Denkmals in Mainz, sein im Herbst 1833 ent­standenes Militärisches Te Deum in Es–Dur[26] wurde dort aufgeführt. 1840 leitete er, erneut in Mainz, das Konzert zur 400–Jahrfeier der Erfindung des Buchdrucks. Wieder wurde eine Messe von ihm (Es–Dur NV 582), allerdings mit unterlegtem deut­schen Text, aufgeführt. 

Die letzten 25 Jahre seines Lebens war er ständig auf Reisen, als eine Art wandelndes Monument der klassischen Wiener Musiktradition, gewissermaßen als „elder statesman“ der Musik. Weitere Ehrungen wurden ihm zu Teil: Die Universität von Dublin ernannte ihn zum Ehrendoktor, die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zu ihrem Ehrenmitglied. Gegen Ende seines Lebens wurde er geachtet wie ein Relikt aus vergangener Zeit, persönlich wurde er geschätzt, aber seine Musik war bereits dem Vergessen anheim gefallen. Er starb am 3. April 1858 in seinem 80. Lebensjahr. Am 10. März 1858 hatte er unter der Nummer 1265 seine letzte Komposition in sein Werkverzeichnis eingetragen, ein „Angelus“ in französischer Sprache für Soli und Chor.

Bert Hagels

Fantasie C-Dur für großes Orchester op. 11 / NV 25; Ries & Erler, Berlin

CD: Kölner Akademie / Michael Alexander Willens (ars)

Fantasie d-Moll für großes Orchester op. 9 / NV 26; Ries & Erler, Berlin

CD: Kölner Akademie / Michael Alexander Willens (cpo)

Fantasie B-Dur für großes Orchester NV 41; Ries & Erler, Berlin

CD: Kölner Akademie / Michael Alexander Willens (cpo)

Sinfonie héroïque D-Dur op. 19 / NV deest; Ries & Erler, Berlin

CD: Kölner Akademie / Michael Alexander Willens (cpo)

Dramatic Fantasia on some Passages of Milton's 'Paradise Lost' NV 426; Ries & Erler, Berlin

CD: Kölner Akademie / Michael Alexander Willens (cpo)

[1] „Biographische Skizze von Sigismund Neukomm von ihm selbst geschrieben“, in: Rudolph Angermüller: Sigismund Neukomm. Werkverzeichnis, Autobiographie, Beziehung zu seinen Zeitgenossen (= Musikwissenschaftliche Schriften Bd. 4), München–Salzburg 1977, S. 31–55; hier S. 37.

[2] Die biographischen Angaben folgen – neben der „Biographischen Skizze“ – im Wesentlichen: Gisela Pellegrini, „Sigismund Ritter von Neukomm. Ein vergessener Salzburger Musiker“, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 76 (1936), S. 1–68; Alexander Rausch, Art. „Neukomm, Sigismund Ritter von“, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite, neu bearbeitete Ausgabe, Personenteil Bd. 12, Kassel usw. 2004, Sp. 1012–1014; Friedrich Rochlitz, „Sigmund Neukomm und sein Oratorium: Christi Grablegung, nach Klopstock“, in: Ders., Für Freunde der Tonkunst, 4 Bde., 3Leipzig 1868, Bd. 3, S. 142–170; dieser Aufsatz ist eine stark erweiterte Neufassung von Rochlitz’ unten zitierter Rezension von Neukomms Oratorium aus dem Jahr 1827.

[3] Neukomm, in: Angermüller, op. cit., S. 31.

[4] Angermüller, op. cit., S. 32.

[5] Angermüller, op. cit., S. 27.

[6] „Salzburg“, in: Allgemeine musikalische Zeitung [im Folgenden: AmZ] 5 (1802/03), Sp. 865–866; hier Sp. 865.

[7] „Verzeichnis meiner Arbeiten in chronologischer Ordnung, angefangen im Monath Jänner 1804, im 26. Jahr meines Alters“, Faksimile einer von Neukomms Bruder Anton Simon Thadée (1793–1873) verfassten Kopie des im Original verschollenen Verzeichnisses, in: Angermüller, op. cit., S. 57–243. Im Folgenden werden die Nummerierungen nach diesem Verzeichnis als „NV“ abgekürzt.

[8] An einen unbekannten Adressaten schrieb er am 28. März aus Wien: „Ich werde bis May längstens Anfangs Juni von hier nach Petersburg abreisen. Wie ich hinkommen werde, weiß ich noch nicht, denn in meiner Kasse sieht’s noch verdammt mager aus; aber fort muß ich, und sollte ich zu Fuße wandern müßen.“ Zitiert nach: Angermüller, op. cit., S. 33, Fußn. 12. Friedrich Rochlitz, der erste Herausgeber der AmZ, war mit Neukomm gut bekannt; anlässlich einer Rezension, die einen biographischen Überblick enthält, schrieb er: „Besondere Verhältnisse, die näher zu bezeichnen wir erst die Erlaubniss haben müssten, führten N. fast noch in Jünglingsjahren nach St. Petersburg.“ Friedrich Rochlitz: [Rezension:] Christi Grablegung, Oratorium [...] in Musik gesetzt – – von Sigmund [sic!] Neukomm [...], in: AmZ 29 (1827), Sp. 561–569, 577–585; hier: Sp. 563. Bereits 14 Jahre vorher hatte ein anonymer Rezensent (Georg August Griesinger?) ähnliche Worte verwendet: „Nachher brachte ein besonderes Verhältnis und der Rath seines väterlichen Freundes [sc.: Haydn] N[eukomm] nach Russland [...].“ [Rezension:] Elégie harmonique pour le Pianoforte sur la mort de J. L. Dussek, comp. – par S. Neukomm [...], in: AmZ 15 (1813), Sp. 233–237; hier Sp. 234.

[9] NV 9: „Eine partie von 15 Schottischen Liedern für Vater Haydn“, ins eigenhändige Werkverzeichnis eingetragen am 29.09./11.10.1804. Die doppelte Datierung meint (hier und im Folgenden) nicht etwa den Entstehungszeitraum, sondern die Differenz zwischen dem in Russland bis 1917 gebräuchlichen julianischen Kalender und dem in Westeuropa üblichen gregorianischen Kalender.

[10] Friedrich Rochlitz: [Rezension:] Christi Grablegung, Oratorium, a.a.O., Sp. 564ff.; vgl. auch Till Gerrit Waidelich, „’... ganz genau gemessenes, aufs sparsamste begleitetes Recitativ, ohne Bestimmung der Töne.’ Sigismund Neukomms ‚musikalisch–rhythmische Notierung der Chorszenen zu Schillers Braut von Messina (1805)“, in: Weber Studien 7 (2003), S. 131–155.

[11] So Neukomms eigener Ausdruck; Angermüller, op. cit., S. 34.

[12] Ebd.

[13] Vgl. Bettina von Seyfried, Ignaz Ritter von Seyfried. Thematisch–Bibliographisches Verzeichnis. Aspekte der Biographie und des Werkes (= Europäische Hochschulschriften, Serie XXXVI, Bd. 32), Frank­furt/Main usw. 1990, S. 388f.

[14] Vgl. Seyfried, op. cit., S. 390–392.

[15] Angermüller, op. cit., S. 36.

[16] Es dürfte sich dabei um Louise–Auguste von Lothringen–Vaudémont, geb. Montmorency–Logny (1763–1832) handeln; ihr Gatte Joseph Maria Ludwig Prinz von Lothringen–Vaudémont (1759–1812) hatte als französischer Exilant in der österreichischen Armee gedient und diese 1808 im Rang eines Feldzeugmeisters verlassen; er starb 1812 in Ungarn. Möglicherweise datieren Neukomms Verbindungen zum französischen Hochadel der Restaurationszeit also schon aus seiner Wiener Zeit und sind eine Frucht seiner Kontakte zu französischen Revolutionsflüchtlingen.

[17] Dusseks Tod scheint Neukomm sehr getroffen zu haben; er komponierte eine „Élégie harmonique, sur la mort de mon ami Dussek en forme de Fantaisie pour le Pianoforte“ NV 90.

[18] Vgl. die Aufführungsberichte in: AmZ 17 (1815), Sp. 120–121, 123–124; eine von Friedrich Rochlitz verfasste Rezension des bei Peters in Leipzig im Druck erschienen Werkes ist zu finden in: AmZ 18 (1816), Sp. 833–843.

[19] Etwa: AmZ 19 (1817), Sp. 351; AmZ 20 (1818), Sp. 674; AmZ 22 (1820), Sp. 401; eine Nachricht aus Rio de Janeiro, in der sein Name nicht genannt wird, hat er dann namentlich gezeichnet: AmZ 20 (1818), Sp. 501–503.

[20] Pellegrini, op. cit., S. 29.

[21] Nicht aber für Kammermusik, denn zwischen Juni 1811 und Januar 1813 entstanden sechs Streichquintette (NV 81, 82, 84, 99, 102, 109) sowie ein Quintett für Flöte, Horn, Violine, Viola und Harfe (NV 105).

[22] Sinfonie Es–Dur op. 37 / NV 185, Sinfonie héroique D–Dur op. 19 (NV deest; nicht im Werkverzeichnis, 1818 erschienen und möglicherweise schon vor 1816 entstanden).

[23] Vier seiner insgesamt fünf im Werkverzeichnis aufgeführten Ouvertüren entstanden zwischen 1817 und 1821 in Rio de Janeiro; vgl. NV 155, 169, 188, 189.

[24] Nonett Es–Dur (NV 513; 10.02.1836); Oktett (NV 421; 24.12.1832); drei Septette (NV 399, 458 und 517) sowie ein Divertimento Es–Dur in der singulären Septett–Besetzung: Solo–Trompete, zwei Hör­ner, drei Posaunen und Ophecleide (NV 469; 31.10.1834).

[25] So Neukomms Eintrag in sein Werkverzeichnis, in: Angermüller, op. cit., S. 109.

[26] NV 440 / 443.

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