MUSICA OBLITA

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George Onslow (1784-1853)

Unter den auf der Startseite genannten Komponisten ist George Onslow [ 1 ] der einzige Franzose; und das ist kein Zufall, denn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Pariser Musikgeschmack (und damit der des übrigen Frankreich) fast gänzlich auf die Oper fixiert. Einige hauptsächlich der Oper verpflichtete Komponisten schrieben zwar auch Sinfonien, so Étienne-Nicolas Méhul (1763-1817), dessen vier vollendete Werke dieser Gattung zwischen 1808 und 1810 entstanden und schnell, zumindest in Frankreich, in Vergessenheit gerieten, und Luigi Cherubini (1760-1842), dessen 1815 komponierte Sinfonie D-Dur im Auftrag der Londoner Philharmonic Society entstand und später (1829) von Cherubini George Onslow (1784-1853)zu einem Streichquartett umgearbeitet wurde. 

Aber das Musikleben in Paris war derart von der Oper dominiert, dass Sinfonik und Kammermusik nur ein Schattendasein im öffentlichen Bewusstsein fristeten. Das änderte sich allerdings 1828 mit der Gründung der Société des Concerts du Conservatoire, deren Dirigent François-Antoine Habeneck (1781-1849) sich die Verbreitung der Sinfonien Beethovens auf die Fahnen geschrieben hatte; nicht zufällig begann kurze Zeit später mit dem Auftreten des genialischen Feuerkopfes Hector Berlioz (1803-1869), der in der Saison 1830/31 mit seiner Symphonie fantastique in Paris Furore machte, und dem Bekanntwerden der zwischen 1829 und 1846 entstandenen vier Sinfonien George Onslows eine eigene Tradition französischer Sinfonik sich zu etablieren, die an die große Zeit der älteren französischen Sinfonie, die mit dem Namen François-Joseph Gossec (1734-1829) verbunden ist, anzuknüpfen vermochte und über Louise Farrenc (1804-1875) und Henri Réber (1807-1880) zu César Franck und Camille Saint-Saëns führte. 

Anders als Berlioz, der mit seinen späteren sinfonischen Werken jede Gattungsgrenze zu sprengen versuchte, hielt sich George Onslow in seiner gesamten Instrumentalmusik ganz im Rahmen des tradierten Gattungskanons; bis an sein Lebensende komponierte er viersätzige rein instrumentale Sinfonien, Streichquartette und -quintette, und andere kammermusikalische Werke verschiedener Besetzungen. Seine finanzielle Unabhängigkeit gestattete ihm, auf Tagesaktualitäten nicht Rücksicht nehmen zu müssen.

Geboren wurde George Onslow am 27. Juli 1784 als Spross einer englisch-französischen Adelsverbindung; sein Vater Edward war 1780 ins englische Parlament gewählt worden, musste aber wegen eines Skandals, dessen genaue Umstände nicht geklärt sind, England ein Jahr später verlassen und siedelte nach Frankreich ins auvergnatische Clermont-Ferrand über.George Onslow, Titelblatt des 1835 erschienenen Stimmdrucks der dritten Sinfonie (Staatsbibliothek zu Berlin-Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Signatur: 16361) Dort ehelichte er 1783 mit Marie-Rosalie de Bourdeille de Brantôme eine Angehörige altehrwürdigen französischen Adels. 

Auf dem im Jahr 1789 von der Familie erworbenen Schloss Chalendrat nahe Clermont-Ferrand erhielt der junge George eine sorgfältige, von seinem Vater überwachte Erziehung, die auch Unterricht im Klavierspiel umfasste. Die Französische Revolution von 1789 brachte die junge Familie in Schwierigkeiten; Edward Onslow wurde zeitweilig inhaftiert und wegen royalistischer Umtriebe 1798 ins Exil gezwungen. 

Sein Sohn George begleitete ihn nach Hamburg, wo er in den Jahren 1799 und 1800 den Unterricht des bekannten Pianisten J. L. Dussek (1760-1812) genoss. Wann der junge Onslow in  London war, um seine Ausbildung bei dem Clementi-Schüler J. B. Cramer (1771-1858) fortzusetzen, ist ungewiss, ebenso wie ein angeblicher, vornehmlich in der deutschsprachigen Onslow-Literatur des 19. Jahrhunderts kolportierter Studien-Aufenthalt in Wien[ 2 ]. 

Bald nach 1800 jedenfalls kehrte George nach Frankreich zurück. Mittlerweile galt er als Pianist von "brillanter Technik, kunstfertiger Virtuosität und schönem Klang"[ 3 ], wie der Zeitgenosse Antoine-François Marmontel berichtet. In seiner Heimat schloss er sich einem Kreis von musikliebenden Dilettanten an, die Kammermusik in kleinem Kreis aufführten; Onslow lernte das Cello-Spiel und begann um 1806 mit seinen ersten Kompositionen: Streichquintetten, einer Klaviersonate und Klaviertrios. Diese Werke erschienen in den beiden folgenden Jahren im Druck. 

Onslow muss wohl Defizite in seiner Kompositionstechnik empfunden haben, denn gegen Ende 1808 wandte er sich an Anton Reicha (1770-1836), den späteren Professor für Kontrapunkt und Fuge am Conservatoire, und neben Cherubini wohl einflussreichsten Pariser Musikpädagogen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit der Bitte um Kompositionsunterricht. Onslow verbrachte fortan die Sommermonate in der heimatlichen Auvergne und die Wintermonate in Paris, um zu lernen oder seine Werke in dem kleinen Kreis der Pariser Kammermusikliebhaber zur Aufführung zu bringen. 

Wie lange der Unterricht bei Reicha gedauert hat, ist nicht bekannt; jedenfalls entstanden im der Dekade von 1808 bis 1817 mindestens 12 Streichquartette, einige Duos für Violine und Klavier neben Variationen und kleineren Stücken für Klavier solo. In diesem Jahr 1817 durchlebte er eine Schaffenskrise; er beklagte sich: "meine Muse ist tot", und er weigerte sich der tonangebenden Mode der "Erfinder von Solos und Arpeggien"[ 4 ] zu folgen. 

Es mag mit dieser Erfahrung zusammengehangen haben, dass er sich einige Jahre später erstmalig der Oper zuwandte: 1824 und 1827 präsentierte er die Komischen Opern L'Alcade de la Véga und Le colporteur, die erste nur mit mäßigem, die zweite mit größerem Erfolg. Doch seine Kammermusik hatte ihm mittlerweile internationales Ansehen verschafft; 1830 wurde er Ehrenmitglied der Londoner Philharmonic Society (eine Ehre, die dem Kollegen Berlioz erst 20 Jahre später zu Teil werden sollte), der zu Ehren Onslow seine zweite Sinfonie komponierte. 

Von der französischen Musikpresse wurde Onslow nunmehr als "unser französischer Beethoven" gefeiert, während die deutsche Musikkritik ihn als Komponisten "deutscher Schule" für sich reklamierte. Im Jahr 1837 brachte er sein drittes Bühnenwerk, Guise, ou Les états des Blois, zur Aufführung, das sich für einige Zeit auf den Bühnen zu halten vermochte. Nach dem Tode Luigi Cherubinis wurde Onslow zu dessen Nachfolger in der ehrwürdigen Académie des Beaux Arts gewählt, und eine Einladung zur Leitung des Niederrheinischen Musikfestes in Köln 1847 gab ihm den Anlass zur Komposition seiner vierten Sinfonie. 

Nach einem Jagdunfall im Jahr 1829 auf einem Ohr taub und von ständigen nervösen Kopfschmerzen geplagt, verbrachte er nun mehr fast das ganze Jahr in der Auvergne und ging nur für ein oder zwei Monate nach Paris, um den Sitzungen der Académie beizuwohnen oder seine neuesten Kompositionen vorzustellen. Ab 1848 verschwanden seine Sinfonien aus dem Repertoire des Pariser Conservatoire-Orchesters; Onslow fühlte sich verletzt und gab der Beethoven-Begeisterung, die seit 1830 in Paris grassierte, die Schuld an der Vernachlässigung seiner Werke. Jedoch verdunkelten auch Selbstzweifel seine letzten Jahre; 1850 gestand er einem Freund, je mehr er seine Kompositionen untersuche, desto stärker verfestige sich bei ihm der Eindruck, dass es ihm an Erfindung mangele. Nach seinem Opus 83, einem Klaviertrio, resignierte er und komponierte bis zu seinem Tod am 03. Oktober 1853 nichts mehr.

Bert Hagels
Sinfonie Nr. 1 A-Dur op. 41: Ries & Erler, Berlin

CD: NDR Radiophilharmonie Hannover/Johannes Goritzki; cpo 999 747-2

Sinfonie Nr. 3 f-Moll ohne op.: Ries & Erler, Berlin

CD: NDR Radiophilharmonie Hannover/Johannes Goritzki; cpo 999 747-2