MUSICA OBLITA

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Johann Wenzel Kalliwoda (1801-1866)

In ihm schien das Geschick wieder einen Meister ersten Ranges bescheren zu wollen. Vielseitig, auf jedem Gebiete sicher, oft neu und originell und doch natürlich und einfach, macht er wiederholt den Eindruck eines Auserlesenen und nähert sich der letzten Stufe zur Unsterblichkeit. Obwohl das eminente Talent Kalliwodas nicht zu seiner vollen Entfaltung gelangt ist und in fast jedem seiner Werke ein unfertiger Rest bleibt – hier die übermässige Breite der Ausführung, dort die Ungleichheit der Theile – ist doch das Studium seiner Sinfonien sehr genussreich. Jede enthält Perlen und Proben einer musikalischen Urkraft.[1]

Mit diesen Worten kennzeichnet Hermann Kretzschmar, der Verfasser des wohl einflussreichsten Konzertführers in deutscher Sprache, gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Komponisten Johann Wenzel Kalliwoda (1801-66). Zu diesem Zeitpunkt waren Kalliwodas Werke längst aus dem Konzertsaal verschwunden; dennoch beschreibt Kretzschmar ihn als „letzte[n] und bedeutendste[n] Vertreter des ursprünglichen Styles der norddeutschen Schule[2], zu der Kretzschmar außer Kalliwoda auch Georg Joseph Vogler (1749-1814), Andreas Romberg (1767-1821), Bernhard Romberg (1767-1841) und Friedrich Schneider (1786-1853) rechnet. Mag diese Zuordnung allein aus geographischen Gründen (von stilistischen ganz zu schweigen) sehr fragwürdig sein – Kalliwoda wurde in Prag geboren und fand in Donaueschingen seinen Lebensmittelpunkt –, so bleibt doch die außergewöhnlich hohe Wertschätzung eines bereits zu Kretzschmars Zeiten halb vergessenen Komponisten der Generation zwischen Beethoven einerseits sowie Schumann und Mendelssohn andrerseits bemerkenswert.

Kretzschmars Urteil befindet sich im Einklang mit den Bewertungen, die in der deutschsprachigen Musikpublizistik der 1830er und 1840er Jahre über Kalliwoda und seine Sinfonien vorgenommen wurden. Gottfried Wilhelm Fink (1783-1846), von 1828 bis 1841 Herausgeber der Allgemeinen musikalischen Zeitung, beschrieb den Wert von Kalliwodas Kompositionen 1837 im vierten Band von Gustav Schillings Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften beispielsweise folgendermaßen:

Am höchsten steht er aber offenbar im Höchsten der Instrumentalmusik, der Sinfonie, deren erste zu Leipzig 1826 mit außerordentlichem Beifalle aufgenommen wurde. [...] Von Leipzig aus verbreitete sich der Ruhm seines Namens schnell, fast überall gab man diese und seine nachfolgenden Sinfonien zur größten Freude des Publikums. Es sind bis jetzt 4 Sinfonien durch den Druck öffentlich bekannt gemacht worden, die ihm so zur Ehre gereichen, daß man ihn unbedingt unter die ersten jetzt lebenden Sinfonienschreiber rechnen muß.[3]

Auch Finks publizistischer Widersacher Robert Schumann, Mitbegründer und von 1834 bis 1844 Herausgeber der Neuen Zeitschrift für Musik, charakterisierte bereits 1834 in einer Rezension der ersten beiden Ouvertüren von Kalliwoda dessen Sinfonien metaphorisch und wies ihm zugleich einen ästhetischen Ort zu, der ihn zwar nicht gerade an die vorderste Front der Avantgarde versetzte, ihm aber doch ein künstlerisches Eigenrecht beließ:

Kalliwoda gehört zu den Mittelmännern, zu den Freundlichen, Klugen, zu Zeiten Gewöhnlichen. Seine Sinfonien sind Blitze, die einmal an römischen und griechischen Ruinen hingleiteten. Sonst hat man von ihm als Republicaner nichts zu fürchten.[4]

Ein Jahr später, in der Aufzählung der seit Beethovens Tod hervorgetretenen Sinfoniker am Beginn seiner Kritik von Berlioz’ Symphonie fantastique, differenziert Schumann sein Urteil vom „Mittelmann“ Kalliwoda chronologisch:

Kalliwoda, der heitere, harmonische Mensch, dessen späteren Symphonien bei tieferem Grunde der Arbeit die Höhe der Phantasie seiner ersten fehlt.[5]

Schumanns Charakterisierung folgt einer Art Kompensationsmodell: Der Mangel an Erfindung in den späteren Sinfonien wird ausgeglichen durch stärker ausgearbeitete Kompositionstechnik, wobei freilich hinzugefügt werden muss, dass Schumann zu diesem Zeitpunkt lediglich die ersten drei Sinfonien Kalliwodas kannte. Kalliwodas 1840 erschienene fünfte Sinfonie erregte indes Schumanns uneingeschränkte Bewunderung; er urteilte, dass er „außer der vielerwähnten schubert'schen Symphonie [...] seit lange keine“ wüsste, die ihm „so wohlgethan hätte[6]. Lediglich die sechste[7] und siebente Sinfonie[8] fallen im Urteil der unmittelbaren Zeitgenossen ab.

Doch der eingangs zitierte Kretzschmar stand gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit seiner Meinung ziemlich alleine da. Noch zu Kalliwodas Lebzeiten hatte eine Bewertung an Einfluss gewonnen, die von Schumanns an den ersten drei Sinfonien Kalliwodas entwickeltem Kompensationsmodell nurmehr den Aspekt des Verfalls wahrnahm und diesen auf Kalliwodas gesamte Sinfonik bezog. Diesem Modell zufolge stellt Kalliwodas erste Sinfonie einen Geniestreich dar und schien zu Hoffnungen Anlass zu geben, die durch seine späteren Sinfonien nicht eingelöst worden seien; Kalliwodas Sinfonien seien von Werk zu Werk einfalls- und gehaltloser geworden, sie spiegelten die Geschichte eines Talentverfalls wider. Erstmals scheint diese Ansicht 1857 im zweiten Band des Neuen Universal-Lexikons der Tonkunst von Eduard Bernsdorf vertreten worden zu sein. Dort heißt es über Kalliwodas Sinfonien:

Die erste derselben (in F-moll) erschien 1826 und erregte die bedeutendsten Hoffnungen für seine kompositorische Zukunft; diese sind aber nicht erfüllt worden. Zwar enthalten die fünf übrigen Sinfonien und einige andere Werke noch manches Respectable; aber sein Talent hat keinen eigentlich höhern Aufschwung genommen und anstatt einer Vertiefung seines geistigen Fonds ist nach und nach eine immer größere Verflachung eingetreten. Schließlich ist es dahin gekommen, daß man in seinen neueren Sachen nur noch eine beträchtliche Routine zu entdecken vermochte und von einer Bedeutsamkeit des Inhalts gar nicht mehr die Rede ist. Schade um ein ursprünglich so schön angelegtes Talent wie Kalliwoda![9]

Schnell wurde diese Beurteilung Allgemeingut in den Lexika und Musikgeschichten, bot sie doch eine bequeme Erklärung für die Tatsache, dass Kalliwodas Sinfonien seit Mitte der 1840er Jahre aus den Konzertsälen weitgehend verschwunden waren. Zudem befand sich die musikinteressierte Öffentlichkeit in den 1850er und 1860er Jahren ganz im Bann des gelegentlich äußerst polemisch ausgetragenen Parteienstreits zwischen den sogenannten „Neudeutschen“ und den „Klassikern“, zu dem Kalliwodas Sinfonik gewissermaßen querstand; keine der beiden Parteien konnte sie als Argument verwenden und in die Vorgeschichte des eigenen Standpunkts inkorporieren. Stellvertretend für viele Einschätzungen sei hier der 1875 erschienene Kalliwoda-Artikel aus dem von Hermann Mendel herausgegebenen Musikalischen Conversations-Lexikon zitiert; der Verfasser konstatiert zwar, Kalliwodas Sinfonien „gehören zu dem Tüchtigsten und Beachtenswerthesten, was die nachbeethoven’sche Zeit auf diesem Feld hervorgebracht hat“, macht aber die Einschränkung, „allerdings in absteigender Folge, da sein Talent einen erhöhten Aufschwung nach dem ersten überaus glücklichen Anlaufe nicht genommen hat.[10] Ein ähnliches Urteil, bezogen auf Kalliwodas Werke insgesamt, findet sich noch im 1958 publizierten Kalliwoda-Artikel der ersten Ausgabe der Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart:

Kalliwodas künstlerische Entwicklung ging aber über seine genialischen Jugenderfolge nicht entscheidend hinaus. Die späteren Werke zeigen keine Vertiefung, Konzentration oder Vergeistigung seines Stils mehr, sondern führen in fortschreitender Verflachung ins Milieu der Unterhaltungsmusik.[11]

Die fehlende chronologische Präzisierung und die Ausweitung des Urteils auf alle Werke ließ aber die Möglichkeit offen, den Beginn des Verfalls erst mit den 1840er Jahre anzusetzen, so dass zumindest Kalliwodas Sinfonien Nr. 1 bis 5 nicht mehr notwendigerweise unter das ästhetische Verdikt der „Verflachung“ fallen mussten.[12] So jedenfalls kann man David E. Fenskes Äußerungen in der Einleitung seiner Faksimile-Ausgabe der zweiten und vierten Sinfonie von Kalliwoda verstehen:

Kalliwoda’s compositional style in the 1820’s through the late 1830’s was based on fresh melodic ideas, contrapuntal textures, and some experimentation with instrumentation. [...] In the 1840’s through the mid 1850’s his style became more conventional, melodically elaborate, and emphasized virtuoso playing. [...] Kalliwoda’s early, more innovative style found its expression in the symphony.[13]

In neueren Überblicksdarstellungen ist es zu einer deutlichen Neubewertung Kalliwodas gekommen. Kalliwodas Erstlingswerk erscheint nicht mehr als eine Art Glückstreffer, dem nur ein beklagenswerter Verfall folgte. Vielmehr wird er auch in seinen späteren Sinfonien als eigenständiger, keineswegs nur konventionellen Normen folgender Sinfoniker wahrgenommen. Er „verbindet – auch in seinen späteren, heute meist unterschätzten Symphonien – in einem durchaus persönlichen Ton energische, scharf individualisierte Thematik und thematische Arbeit mit großen romantischen Gesten [...] und ungewöhnlich farbiger, virtuoser Instrumentation [...], und trotz gelegentlicher Neigung zu Trivialität und Redundanz zeigt jede der Symphonien ein eigenes Gesicht.[14] Folgerichtig wird er zu den „bedeutendsten Symphonie-Komponisten der 1830er Jahre in Deutschland[15] gezählt. Dieser Neubewertung entspricht, dass die Sinfonien Nr. 1 und 5 vor Kurzem in Neueditionen herausgegeben wurden.[16]

Geboren wurde Johann Wenzel Kalliwoda am 21. Februar 1801 im Prager Stadtteil Kleinseite.[17] Sein Vater Anton stammte aus Mähren, seine Mutter Theresia, geborene Kolni, aus Ungarn. Früh scheint er musikalische Begabung gezeigt zu haben; denn bereits im Alter von zehn Jahren wurde Kalliwoda in das gerade (im Mai 1811) seinen Lehrbetrieb aufnehmende Prager Konservatorium aufgenommen. Seine Lehrer dort waren der Direktor des Instituts, Friedrich Dionys Weber (1766-1842), und der Violinvirtuose Friedrich Wilhelm Pixis (1785-1842). Beide entstammten ihrem Werdegang nach dem Umkreis der späten Mannheimer Schule, Weber als Zögling des genialischen „Abt“ Georg Joseph Vogler, und Pixis als Violinschüler von Ignaz Fränzl. Pixis hatte zusätzlich während eines Aufenthaltes in Hamburg 1798 kurzzeitig den Unterricht des Begründers der französischen Violinschule, Giovanni Battista Viotti, genossen, und wurde später in Wien vom namhaften Johann Georg Albrechtsberger im Tonsatz unterwiesen. 

Kalliwoda erwies seinen Lehrern später seine Reverenz, indem er ihnen seine beiden ersten größeren im Druck erschienenen Kompositionen widmete: Friedrich Dionys Weber seine 1. Sinfonie op. 7 und Pixis, dem Geiger, sein erstes und einziges publiziertes Violinkonzert op. 9. Die Ausbildung dauerte sechs Jahre, und Kalliwoda war ein guter Schuler, dem wegen seiner außergewöhnlichen Leistungen (neben drei weiteren Schülern) ein Stipendium von 50 Gulden für das letzte Jahr gewährt wurde. In sein letztes Ausbildungsjahr fallen auch seine ersten überlieferten öffentlichen Auftritte; in einem Konzert der Konservatoriumszöglinge vom 26. März 1816 trug er „Adagio und Polonaise von Rode“ – also wohl den zweiten und dritten Satz eines Violinkonzerts von Pierre Rode – vor, „für sein zartes Alter recht fertig und mit Gefühl“, wie ein zeitgenössischer Rezensent urteilte.[18] Bereits am 9. April trat er erneut öffentlich auf, dieses Mal mit einem Konzert für zwei Violinen von Johann Friedrich Eck, das er zusammen mit seinem Mitschüler Johann Taborsky (1797-1840) spielte. [19]

Im Oktober 1816 schloss Kalliwoda seine Konservatoriumsausbildung ab; Direktor Friedrich Dionys Weber bescheinigte ihm im Violinspiel „nebst einer schönen mechanischen Fertigkeit auch Geist im Vortrag“ und im Tonsatz „ein entschiedenes Talent zur Instrumentalkomposition“, in der er sich „vor allen hervorgetan[20] habe, ein Urteil, das die Zukunft bestätigen sollte. Von Herbst 1816 bis Ende 1821 war Kalliwoda Mitglied des Prager Theaterorchesters, das vorher, von Januar 1813 bis September 1816, von Carl Maria von Weber geleitet wurde; man darf annehmen, dass Kalliwoda mit Weber bekannt war, ohne jedoch in näherer Beziehung mit dem um 15 Jahre Älteren gestanden zu haben. Eine Verbindung zwischen beiden Komponisten existiert allerdings in Gestalt der Schauspielerin Therese Brunetti (1782-1864), die von Carl Maria leidenschaftlich verehrt wurde, und deren gleichnamige Tochter er kurzzeitig unterrichtete; Therese Brunetti die Jüngere (1803-92), eine mit Henriette Sontag befreundete talentierte Sängerin und Schülerin des Prager Konservatoriums, wurde später, im Oktober 1822, Kalliwodas Frau.

Dass Kalliwoda vor 1820 als Solist öffentlich in Erscheinung getreten ist, ist zwar nicht belegt, aber doch wahrscheinlich. Jedenfalls hat er in dieser Zeit zu komponieren begonnen, und zwar gleich fürs große Orchester: Im Frühjahr 1820 führte das Prager Konservatoriumsorchester eine von ihm komponierte Ouvertüre auf. Kein Einzelfall, wie der Prager Korrespondent der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung festhält, denn Kalliwoda habe „seit zwey Jahren drey Ouverturen“ geliefert; der Berichterstatter fährt fort:

Die erste war wohlinstrumentirt, doch weder ganz geregelt durchgeführt noch frey von Anklängen aus den Werken der Meister; originell und von vortrefflicher Durchführung und Rundung war die zweyte, die wir im vorigen Jahre hörten; aber, so brav die heurige im Ganzen ist, so bemerkten wir doch mit Bedauern, dass er, wie mancher andere brave deutsche Künstler, dem leidigen Rossinismus hingegeben, sich ganz in diese weichliche kokettirende Modekunst hinein arbeitet. Möge dieses ausgezeichnete Talent bald von diesem Irrwege wieder auf den Pfad des wahren Schönen zurückkehren![21]

Wahrscheinlich also bereits im Jahr 1818, sicher aber 1819 war Kalliwoda mit einer Ouvertüre öffentlich hervorgetreten. Nun häuften sich seine öffentlichen Auftritte mit eigenen Kompositionen: Am 14. März 1820 spielte Kalliwoda in einem Konzert der Gesangslehrerin Anna Auernhammer-Czegka „ein neues, sehr artiges Rondo für die Violine von seiner eigenen Composition und erwarb gerechte Theilnahme.[22] Am 27. Mai des gleichen Jahres ließ er sich anlässlich eines Konservatoriumskonzerts zu Ehren Kaiser Franz I. und seiner Entourage mit einer „Polonaise für die Violine“ hören und zeigte sich, wie ein Rezensent festhielt, „diessmahl durch die hohen Anwesenden gleichsam neubeseelt“.[23] Im Advent 1820 erklang in einem Konzert der Herren Dietze und Kummer wiederum eine Ouvertüre von ihm; ob es sich dabei um ein neues Werk handelt oder um eine der drei zuvor bereits erklungenen, ist dem Konzertbericht nicht zu entnehmen.[24] Zu Anfang 1821 lässt er sich erneut in einem Konzert von Anna Auernhammer-Czegka mit einer eigenen Komposition hören und muss sich mangelnde Stilsicherheit vorhalten lassen:

Von vaterländischer Composition hörten wir ein neues Rondo für die Violine, erfunden und gespielt von Joh. Kalliwoda. Das Motiv desselben ist ein bekannter Gassenhauer, und der Verfasser schien sich sehr darin zu gefallen, denn er verarbeitete es recht tüchtig, ja er wiederholte es sehr oft, nicht nur im Solo, sondern auch im Tutti. In einer Gesellschaft muntrer Zecher dürfte es an seinem Platze seyn; doch möge der junge Künstler künftig besser erwägen, welche Achtung er dem Concertsaal und einem kunstliebenden Publikum schuldig ist, welches sein schönes Talent so freundlich aufnahm, und selbst diesen Fehlgriff nachzusehen schien.[25]

Am 8. November 1821 spielte Kalliwoda in einem Geistlichen Konzert des Konservatoriums den langsamen Satz aus einem Violinkonzert von Pierre Rode[26], und am 22 Dezember gab er erstmals ein eigenes Konzert, „vor Antritt einer Kunstreise zum Abschied“, wie die Allgemeine musikalische Zeitung festhält. In dem Konzert stellte er drei neue Kompositionen vor, eine Ouvertüre in e-Moll, ein Violinkonzert (mutmaßlich jenes oben bereits erwähnte, dessen Stimmdruck er einige Jahre später Friedrich Wilhelm Pixis widmete) und Variationen für zwei Violinen. Der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung reagierte wohlwollend: Die Ouvertüre zeige „Einsicht und Geschmack, wirkt auf die Zuhörer, ohne zu den modernen Knalleffekten seine Zuflucht zu nehmen, und macht dem jungen Verfasser Ehre [...]“. Das Violinkonzert zeichne sich „durch soliden und geschmackvollen Tonsatz aus [...]“. In der Ausführung des Soloparts habe Kalliwoda bewiesen, „dass er sein Instrument mit Kraft, Geschmack, Reinheit und bedeutender Kunstfertigkeit zu beherrschen weiss [...].“ Die Variationen schließlich enthielten ein Thema von „eigene[r] Erfindung“, das „im modernen Geschmacke variirt und auf Effekt für ein gemischtes Publikum berechnet“ sei.[27] 

In Prag hatte er nun alles erreicht, was ihm in seiner Position als Mitglied des Theaterorchesters möglich war: Abgesehen von seiner Stellung als Ripienist hatte er sich einen Ruf als Virtuose erworben, und seine Kompositionen, zu denen seit 1820 auch Lieder sowie Tänze und Märsche für Klavier getreten waren, die bei Marco Berra in Prag zu erscheinen begannen[28], verschafften ihm Anerkennung. Nun schien ihm offenbar der Zeitpunkt gekommen, sein Glück außerhalb der Hauptstadt Böhmens zu versuchen und sich eine lukrativere Stellung zu verschaffen als die eines einfachen Orchestermitgliedes. 

In den ersten Tagen des Januar 1822 brach er zu einer Konzertreise durch Österreich und Süddeutschland auf, die, so darf vermutet werden, schneller zum erwünschten Ziel führte, als Kalliwoda zu hoffen wagte. Er reiste über Linz, wo er an drei Abenden spielte und großen Beifall erhielt[29], nach München. Dort trat er mehrfach im Hoftheater auf, und am 13. April veranstaltete „der bescheidene Jüngling“ (so der Münchner Korrespondent der Allgemeinen musikalischen Zeitung) ein eigenes Konzert. Kalliwodas Violinspiel riss den Kritiker hin: „Anmuth, Gefälligkeit, eine liebliche Manier, ein schöner einschmeichelnder Ton, ein netter anspruchloser Vortrag, sind Vorzüge, welche sein Spiel in hohem Grade auszeichnen.“ Das Publikum war offenbar nicht ganz dieser Meinung, wie der Korrespondent einräumt: „Der große Haufe meint freylich, er habe mit seinem Gelärme entschieden. Doch – Grammatici certant; denn Geschmack, ein gesangreiches Spiel und ein einfach edler Styl sind unter uns noch nicht um allen ihren Credit gekommen.[30] 

Auf der Rückreise nach Prag machte er in Donaueschingen Station, um seinen jüngeren Bruder Franz zu besuchen, der als Kabinettsexpeditor in Diensten des in Donaueschingen residierenden Fürsten Karl Egon II. von Fürstenberg stand, und sich dort durch die Heirat mit der Tochter eines Hofrats eine sichere Stellung am Hof zu verschaffen wusste. Das Reiseziel Donaueschingen erscheint wohlkalkuliert, denn Karl Egon II. war auf der Suche nach einem neuen Kapellmeister. Conradin Kreutzer (1780-1849), der dieses Amt seit 1818 inne hatte, war nach mancherlei Querelen zu Anfang 1822 abgereist und nach Ablauf seines Urlaubs nicht zurückgekommen; Ende März wurde er offiziell entlassen.[31] Da mochte dem Fürsten die Ankunft eines jungen talentierten Musikers, der weniger Ansprüche als der unstete und eigenwillige Kreutzer zu stellen schien, gerade recht sein. 

Kalliwoda wurde dem Fürsten vorgestellt und durfte in einem Konzert der Hofkapelle spielen; der Fürst fand Gefallen an ihm und berief ihn nach eingehender Beratung am 11. Juni 1822 zu seinem Hofkapellmeister. Kalliwoda sagte zu, kehrte aber vorerst nach Prag zurück, wo er am 15. Oktober Therese Brunetti ehelichte; am 19. Dezember 1822 trat er sein neues Amt in Donaueschingen an. Sein Anstellungsdekret vom Januar 1823 sah ein Gehalt von 1000 Gulden und zusätzlich Sachleistungen (Wohnung, Holz) vor; darüber hinaus wurde ihm ein Jahresurlaub von sechs bis acht Wochen bewilligt. Dafür verpflichtete er sich, die Hofkapelle zu leiten, deren Musikalienbestand zu pflegen, für die Kirchenmusik zu sorgen, eine „Singschule“ zu errichten, sein Solospiel weiter zu vervollkommnen und – zwecks weiterer Ausbildung – „nach Italien zu reisen“.[32] Wenn auch der letzte Punkt nicht erfüllt wurde – Kalliwoda war nie in Italien –, so wird doch deutlich, dass der Fürst in der Person seines Kapellmeisters nicht nur einen dienstverpflichteten Untergebenen sah, sondern auch einen nach außen strahlenden Repräsentanten seines Hofes. Der Glanz des Komponisten und Virtuosen Kalliwoda fiel auf ihn zurück, sofern er ihn zu halten vermochte. 

Kalliwoda wusste diese Situation zu nutzen, ohne dabei, wie sein Amtsvorgänger Conradin Kreutzer, seine Grenzen zu überschreiten und seine Dienstpflichten zu verletzen; er blieb dem Hof in Donaueschingen 44 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung im Juni 1866 treu, obwohl er im Laufe seiner Dienstjahre zahlreiche Angebote (z.B. 1832 aus Mannheim, 1835 aus Leipzig, 1853 aus Dessau) zu anderweitigen Stellungen erhielt. Zu dieser Treue seinem Dienstherren gegenüber dürfte erheblich beigetragen haben, dass dieser ihm fast jede Bitte um Gehaltserhöhung oder Darlehensgewährung erfüllte und auch mit der Urlaubsregelung sehr großzügig verfuhr. Bereits in der ersten Jahreshälfte 1824 unternahm Kalliwoda eine Konzertreise durch den südwestdeutschen Raum[33], wobei er z.B. in Mannheim einen tiefen Eindruck hinterließ, wie die Allgemeine musikalische Zeitung zu berichten weiß:

Unter den fremden Virtuosen, welche es wagten, hier Concert zu geben, erntete Hr. Kapellmeister Kalliwoda aus Donaueschingen den meisten Beyfall. Das Violinspiel des Hrn. K. ist ausgezeichnet brav, sowohl in Rücksicht auf Ueberwindung von Schwierigkeiten als auf Zartheit und Nettigkeit des Vortrags. Auch seine Compositionen erhielten ungetheilten Beyfall, besonders eine Symphonie aus F moll, welche sehr kunstreich und gemüthlich gesetzt ist. Es ist übrigens ein Wagstück, in Mannheim Concert zu geben, weil nur selten ein Künstler dabey pecuniären Vortheil findet.[34]

Interessant ist dieser kurze Konzertbericht nicht nur als Indiz für Kalliwodas steigendes Ansehen außerhalb Prags und Donaueschingens, sondern auch als Beleg dafür, dass seine später so erfolgreiche 1. Sinfonie in f-Moll op. 7 bereits in der ersten Hälfte des Jahrs 1824 fertig vorlag, und dass sie zu dieser Zeit auch schon öffentlich erklang (und nicht erst im Dezember 1825 im Konservatorium in Prag).[35] Man wird annehmen dürfen, dass Kalliwoda dieses Werk im Verlauf seines ersten Dienstjahres (1823) in Donaueschingen komponierte, möglicherweise in der Absicht, sich mit diesem und weiteren Werken der Gattung überregional als Instrumentalkomponist zu etablieren. Das gelang ihm auch eindrucksvoll mit der am 19. Januar 1826 erfolgten Erstaufführung der ersten Sinfonie im Gewandhaus in Leipzig. Der Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung war voll des Lobes für das Werk „des den Meisten völlig unbekannten Verfassers“. Seine für einen Konzertbericht recht ausführliche Besprechung fasst er zusammen in dem Satz:

Kurz, wer so auftritt, verdient in hohem Grade die Beachtung aller Kunstfreunde, und wir freuen uns, wieder in einer Musikgattung, deren recht eigentliches Vaterland Deutschland ist, in dem Verfasser dieser Symphonie einen Mann begrüssen zu dürfen, der zu grossen Erwartungen berechtigt.[36]

Der Leipziger Statthalter der von Adolf Bernhard Marx herausgegebenen Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung zeigte sich kaum weniger enthusiastisch; er leitet seine ebenfalls verhältnismäßig ausführliche Besprechung mit folgender Charakterisierung ein:

Anlage und Ausführung dieser Komposition ist gleich lobenswerth. Natürliche Gedanken, klare und fließende Harmonie, meisterhafte Ausführung ohne Prätension und ermüdenden Instrumentenlärm sind die Hauptvorzüge dieses Werks.[37]

Sogar im weit über musikalische Fachkreise hinaus gelesenen feuilletonistischen Periodikum Morgenblatt für gebildete Stände findet sich eine anerkennende Würdigung von Kalliwodas Sinfonie, nicht ohne den Hinweis auf die besondere Schwierigkeit, das verwöhnte Leipziger Konzertpublikum zu überzeugen:

Je weniger Aufmunterung zu solchen großen Instrumentalkompositionen in den Verhältnissen liegt, desto mehr muß das Talent geschätzt werden, das sich für Hervorbringung derselben ausgerüstet hat; und da unser Konzertpublikum durch Gewöhnung an die größten Meisterwerke sehr schwierig geworden ist, so darf es hier wohl zum Lobe des Komponisten angeführt werden, daß sein genanntes Werk mit ungetheiltem Beyfall aufgenommen ward. Es zeichnet sich aus durch anspruchlose leichte, aber edle Formen, einen angenehmen Wechsel des Sanfteren, Kräftigen, natürliche und einem solchem Werke angemessene Melodien, fließende Stimmung, strenge und gründliche Ausarbeitung, die doch nicht im tadelnden Sinne gelehrt genannt werden darf. Wahrscheinlich wird dieses Werk hier gedruckt werden.[38]

In der Tat, ein durchschlagender Erfolg im Leipziger Gewandhaus war die beste Druckempfehlung, die sich ein junger Komponist nur wünschen konnte. Nachdem seine opp. 1 bis 6 bei Marco Berra in Prag erscheinen waren, nahmen sich nun die großen Leipziger Verlage seiner Werke an; bereits im späten Frühjahr 1826 brachte Breitkopf & Härtel den Stimmdruck der Sinfonie heraus.[39] 

Man wird konstatieren dürfen, dass Kalliwoda mit seinem Leipziger Erfolg der überregionale Durchbruch gelungen war. Kalliwoda zeigte seine Dankbarkeit, indem er der Direktion der Leipziger Gewandhauskonzerte seine 1832 im Druck erschienene dritte Sinfonie widmete. 

Zwar war er bei der Erstaufführung seiner ersten Sinfonie nicht anwesend, aber in den folgenden Jahren besuchte er immer wieder Leipzig, sowohl um sich als Violinvirtuose zu präsentieren, als auch um seine jeweils neueste Sinfonie im Gewandhaus vorzustellen[40], so im März 1829, im Oktober 1832, im November 1835 (wo Felix Mendelssohn Bartholdy ihm die Nachfolge des verstorbenen Konzertmeisters Heinrich August Matthäi antrug)[41], im März 1840, im Dezember 1843, im Februar 1846.[42] 

Kalliwoda war bei den Leipziger Erstaufführungen seiner Sinfonien Nr. 3 bis 6 anwesend, die Aufführung der fünften und sechsten Sinfonie dirigierte er selbst. Eine Ausnahme in dieser Reihe bildet die am 18. Februar 1841 aufgeführte und später als Nr. 7 gezählte Sinfonie in g-Moll WoO I/1, Kalliwodas einziges Werk der Gattung, das ungedruckt blieb.[43] Mit seiner zweiten bis fünften Sinfonie vermochte Kalliwoda mehr oder minder an den Erfolg seiner ersten Sinfonie anzuschließen, wenn auch begreiflicherweise der Überraschungseffekt ausblieb, den diese erzielt hatte. 

Nach den relativen Misserfolgen der erwähnten (chronologisch sechsten, aber als Nr. 7 gezählten) Sinfonie in g-Moll und der am 7. Dezember 1843 in Leipzig unter Kalliwodas Leitung uraufgeführten Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 132 nahm der Komponist Abstand von der Komposition weiterer Sinfonien. Als Kalliwoda am 26. Februar 1846 zum letzten Mal in einem Leipziger Gewandhauskonzert auftrat, hatte er keine neue Symphonie mehr mitgebracht; stattdessen ließ er – neben dem Divertissement G-Dur für Violine und Orchester op. 134, dessen Solopart er selbst spielte – seine neueste Ouvertüre (Nr. 11 B-Dur op. 143) aufführen[44], wie er überhaupt der Gattung Ouvertüre bis an sein Lebensende treu blieb und es auf die beträchtliche Anzahl von (einschließlich ungedruckter Früh- und Spätwerke) 24 Exemplaren der Gattung brachte. 

In den 1830er Jahren war sein Ruhm ständig gewachsen; auch im nicht deutschsprachigen Bereich begannen seine Werke sich durchzusetzen: Im März 1836 wurde eine seiner Sinfonien in Warschau gespielt[45]; als er im Frühjahr 1836 in Amsterdam auftrat, galten seine Kompositionen dort bereits als sehr beliebt[46], nachdem er bereits im September 1835 zum Verdienstmitglied der niederländischen Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst (Gesellschaft zur Beförderung der Tonkunst) ernannt worden war.[47] In der Londoner Musikzeitschrift The Musical World erschien 1838 eine (nicht als solche gekennzeichnete) Übersetzung des oben zitierten Lexikon-Artikels von Gottfried Wilhelm Fink; Kalliwoda erscheint dort als „one of the first writers of symphonies now living.[48]

Mit Ablauf der 1840er Jahre war sein Stern als Komponist indes im Sinken begriffen; die Zahl der Aufführungen seiner Werke ging rasch zurück. Und als am 8. Januar 1852 zum letzen Mal eine Sinfonie von Kalliwoda im Leipziger Gewandhaus erklang – es war die von Schumann so sehr geschätzte fünfte in h-Moll –, war sich die Kritik einig, dass die Zeit Kalliwodas vorbei sei. Dass der Rezensent der Neuen Zeitschrift für Musik, die sich seit Übernahme des Blattes durch Franz Brendel im Jahr 1845 allmählich zu einem Propagandaorgan der Musik Wagners (und später auch Liszts) gewandelt hatte, kein gutes Haar an dem Werk lassen würde, war zu erwarten; dort war anlässlich der Aufführung zu lesen: „Dieses Werk, der besseren Unterhaltungsmusik angehörend, erschien an diesem Orte etwas fremd und die Aufnahme war Dem entsprechend eine sehr laue.[49] Doch auch in den ganz und gar nicht zukunftsmusikalisch ausgerichteten Signalen für die musikalische Welt wurde eine ähnliche Ansicht vertreten:

Sie hat eine glatte, runde Form, hübsche Melodien, überhaupt wohlgeordnete und angenehm instrumentirte Gedanken u. s. w., aber sie hat keinen Inhalt. Sie erzählt unserem Gemüthe nichts Vernehmliches und Bedeutendes, und wenn sie vorüber ist, sind wir ganz so ruhig wie vorher. Diese Art von Instrumentalmusik rechnet unsre Zeit unter die vergebliche. Sie sollte in den Gewandhausconcerte nicht mehr erscheinen.[50]

Gelegentlich wurden in Leipzig noch konzertante Werke Kalliwodas aufgeführt; und am 20. Dezember 1866 erklang ihm zum Gedächtnis (Kalliwoda war am 3. Dezember verstorben) seine anlässlich des 50jährigen Jubiläums des Prager Konservatoriums komponierte Ouvertüre Nr. 15 E-Dur op. 226 im Leipziger Gewandhaus.

Die Revolution von 1848 machte auch vor Donaueschingen nicht halt, und drohende Unruhen veranlassten Karl Egon II. im März 1848 dazu, seine Residenz zu verlassen und sich in die badische Hauptstadt Karlsruhe zu begeben. Das Musikleben in Donaueschingen kam zum Erliegen, und der Hofkapelle drohte die Auflösung, die aber in den folgenden Jahren nicht endgültig vollzogen wurde, obwohl der Fürst erst im April 1853 in seine Residenz zurückkehrte. Der Tod des Fürsten im Oktober 1854 verzögerte die Reorganisation weiterhin; immerhin war seit 1853 ein aus der Hofkapelle heraus gebildetes Harmoniemusik-Ensemble aktiv. Den Mitgliedern der Kapelle wurde mit umfassenden Urlaubsregelungen ermöglicht, sich befristet anderweitig den Lebensunterhalt zu sichern. Zu regulären Konzerten der Hofkapelle kam es erst wieder im Winter 1855/56 auf Anordnung des Nachfolgers Karl Egon III. 

Wie viele andere Hofkapellmitglieder hatte auch Kalliwoda die ersten Jahre nach der Revolution kaum in Donaueschingen verbracht, sondern war seinem Dienstherrn nach Karlsruhe gefolgt. Erst ab 1857 hielt er sich wieder regelmäßig in der Fürstenbergischen Residenz auf, hatte sich aber bereits 1854 in Zusammenhang mit der ihm angebotenen Stelle als Nachfolger Friedrich Schneiders in Dessau noch von Karl Egon II. das Recht erhandelt, auch einen Wohnsitz in Karlsruhe nehmen zu dürfen. Den Glanz früherer Jahre erreichte die Fürstlich-Fürstenbergische Hofkapelle indes nicht mehr. Durch Krankheiten geschwächt beantragte Kalliwoda 1866 seine Pensionierung, die ihm Anfang Juni unter Gewährung von knapp 4/5 seines Gehaltes als Pension bewilligt wurde. Im Oktober 1866 siedelte er endgültig nach Karlsruhe um; am 3. Dezember desselben Jahres starb er dort. Die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung verzichtete auf einen Nekrolog und brachte nur eine kurze Notiz in der Rubrik „Todesfälle“: „Am 3. Dec. starb in Carlsruhe Joh. Wenzel Kalliwoda [...], ein Componist, der in den dreissiger und vierziger Jahren sehr geschätzt war, dessen Symphonien viel gespielt wurden, auch in der That sehr hübsch sind; später wurde er durch originellere und bedeutendere Tondichter verdrängt.[51]

Kalliwoda war ein sehr produktiver Komponist: Neben den erwähnten 7 Sinfonien und 24 Ouvertüren schrieb er zahlreiche Konzertstücke für ein Soloinstrument und Orchester, vornehmlich für Violine, aber auch für Blasinstrumente und Klavier. Auffällig ist, dass er die Gattung des eigentlichen Solokonzerts mied: Das erwähnte frühe Violinkonzert E-Dur op. 9 ist das einzige veröffentlichte Werk seiner Art. Über seine Kirchenmusik (u.a. 10 Messen, 4 Requiem, 6 Te Deum) ist nicht viel bekannt[52], ebenso wie über seine 4 vollendeten Bühnenwerke, von denen sicherlich Blanda (auf einen Text des Freischütz-Librettisten Friedrich Kind), Kalliwodas letzte, 1847 in Prag aufgeführte Oper, am meisten Beachtung verdient. Darüber hinaus komponierte Kalliwoda auch Klaviermusik und Lieder.

Bert Hagels

Sinfonie Nr. 2 Es-Dur op. 17; Ries & Erler, Berlin

CD: Kölner Akademie / Michael Alexander Willens (cpo)

Sinfonie Nr. 4 C-Dur op. 60; Ries & Erler, Berlin

CD: Kölner Akademie / Michael Alexander Willens (cpo)

Ouvertüre Nr. 7 c-Moll op. 101; Berlin, Ries & Erler
Ouvertüre Nr. 10 f-Moll op. 142; Ries & Erler, Berlin

Concertino Nr. 1 für Violine und Orchester E-Dur op. 15; Ries & Erler, Berlin

Concertino Nr. 5 für Violine und Orchester a-Moll op. 133; Ries & Erler, Berlin

[1] Hermann Kretzschmar, Führer durch den Concertsaal. I. Abtheilung: Sinfonie und Suite, 2Leipzig 1891, S. 136. Noch in der vierten, „vollständig neubearbeiteten Auflage“ von Kretzschmars Konzertführer aus dem Jahr 1913 ist der Wortlaut identisch; vgl. op. cit., 4Leipzig 1913, S. 286.

[2] Ebd.; zur Diskussion um die „Norddeutsche“ und andere „Schulen“ vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda und die Musik am Hof von Donaueschingen, 2 Bde., Hildesheim, Zürich, New York, 2005, Bd. 1, S. 117ff.

[3] Gottfried Wilhelm Fink, Art. „Kalliwoda“, in: Gustav Schilling (Hrsg.), Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften, oder Universal-Lexicon der Tonkunst, Bd. 4, Stuttgart 1837, S. 36; gekürzter Wiederabdruck in: Johann Baptist Haindl (Hrsg.), Gallerie berühmter Pädagogen, verdienter Schulmänner, Jugend- und Volksschriftsteller und Komponisten aus der Gegenwart, 2 Bde., Bd. 1, S. 333f.

[4] Robert Schumann, „Kalliwoda, 1. Ouverture à grand Orchestre. Oe. 38. 2. Ouvert. Oe. 44. [...]“, in: Neue Zeitschrift für Musik [im Folgenden: NZfM] 1 (1834), S. 38.

[5] Robert Schumann, „Hector Berlioz, Episode de la vie d’un artiste. Grande symphonie fantastique. Oev. 4 [...] 2.“, in: NZfM 3 (1835), S. 33-35, hier S. 34. Zu Schumanns Einschätzung Kalliwodas im Kontext seiner Bewertung der nachbeethovenschen Sinfonik vgl. Albrecht Dürr, „’Gleichbleibende Zärte’. Robert Schumann und Johann Wenzel Kalliwoda“, in: Musik in Baden-Württemberg 4 (1997), S. 45-52.

[6] Robert Schumann, „Leipzig, d. 6ten März“, in: NZfM 12 (1840), S. 88. Mit der „schubert'schen Symphonie“ ist natürlich die von ihm selbst in Wien aufgefundene und 1839 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführte Sinfonie C-Dur D 944 gemeint.

[7] Die chronologisch sechste Sinfonie blieb ungedruckt und wurde schon von Kalliwoda selbst als „VIIte Sinfonie“ gezählt; vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 2, S. 211. Rezensionen der Leipziger Aufführung vom 18. Februar 1841: „Leipzig, den 12. März 1841“, in: Allgemeine musikalische Zeitung [im Folgenden: AmZ] XLIII (1841), Sp. 242-245; Robert Schumann, „17tes und 18tes Abonnementconcert“, in: NZfM 14 (1841), S. 102.

[8] Die chronologisch siebte Sinfonie wurde als Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 132 publiziert; vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 2, S. 129f. Rezensionen der Leipziger Aufführung vom 7. Dezember 1843: Julius Becker, „Neuntes Abonnementconcert“, in: Signale für die musikalische Welt 1 (1843), S. 396-397; „Neuntes Abonnementconcert, d. 7. December 1843“, in: NZfM 19 (1843), S. 206-207; „Leipzig, den 19. December“, in: AmZ XLV (1843), Sp. 930-934.

[9] Anonym, Art. „Kalliwoda, Johann Wenzel“, in: Eduard Bernsdorf (Hrsg.), Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Für Künstler, Kunstfreunde und alle Gebildeten, Dresden 1857, S. 559-560, hier S. 560.

[10] Art. „Kalliwoda, Johann Wenzel“, in: Hermann Mendel (Hrsg.), Musikalisches Conversations-Lexikon. Eine Encyklopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften, Bd. 5, Berlin 1875, S. 523.

[11] Walter Kramolisch, Art „Kalliwoda, Johann Wenzel“, in: Friedrich Blume (Hrsg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Bd. 7, Kassel usw. 1958, Sp. 454-459; hier Sp. 457.

[12] Die chronologische Ungenauigkeit bei gleichzeitiger Beschränkung der Aussage auf die Gattungen Sinfonie und Ouvertüre findet sich auch in der Enzyklopädie New Grove’s Dictionary of Music and Musicians: „His fresh inventiveness, the carefully wrought contrapuntal themes of his symphonies and overtures and their exquisite instrumentation at first inspired great hopes, but in time he elapsed in compositional routine of casually chosen themes, conventionally elaborated. Many of his pieces succombed to the fahionable demand for mere prettiness and fell into the category of popular music.“ Alena Němcová, Art „Kalliwoda, Johann Wenzel“, in: Stanley Sadie (Hrsg.), The New Grove Dictionary of Music & Musicians, 20 Bde., London, New York, Hong Kong 1980, Bd. 9, S. 779-780.

[13] David E. Fenske, „Introduction“, in: Barry S. Brooks (Hrsg.), The Symphony, 1720-1840, Series C, Volume XIII, S. xxxix-xlv; hier S. xl.

[14] Ludwig Finscher, Art. „Symphonie“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Sachteil Bd. 9, Kassel usw. 1998, Sp. 16-153, hier: Sp. 72.

[15] So Wolfram Steinbeck, Die Symphonie im 19. und 20 Jahrhundert, Teil 1: Romantische und nationale Symphonik (= Handbuch der musikalischen Gattungen, Bd. 3, 1), Laaber 2002, S. 47.

[16] Johann Wenzel Kalliwoda, Sinfonien Nr. 1 und 5, hrsg. von Albrecht Dürr (= Das Erbe deutscher Musik, Bd. 109), Wiesbaden 1998.

[17] Die Angaben zur Biographie folgen weitgehend den Darstellungen in: Karl Strunz, „Beiträge zu einer Lebensgeschichte des deutschböhmischen Tonkünstlers Johann Wenzel Kalliwoda (1801 bis 1866)“, in: Deutsche Arbeit 8 (1909), S. 635-650; ders., „Johann Wenzel Kalliwoda (1801-1866)“, in: Die Musik XII. Jahrgang, Bd. 48 (1913), S. 273-294; László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda und die Musik am Hof von Donaueschingen, a.a.O., Bd. 1, S. 31ff.; ders. Art. „Kalliwoda, Johann Wenzel“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Personenteil Bd. 9, Kassel usw. 2003, Sp. 1404-1410.

[18] Zitate in: Max Maria von Weber, Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild, 3 Bde., Leipzig 1864-66, Bd. 3, S. 107; hier zitiert nach: László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 49f.

[19] Vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 50.

[20] Zitate nach: Karl Strunz, „Kalliwoda“, in: Die Musik, a.a.O., S. 276; László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 49.

[21] „Prag, den 24sten März“, in: AmZ 22 (1820), Sp. 288-294; Zitate: Sp. 289. Bei den drei Werken handelt es sich wahrscheinlich um die Ouvertüren WoO I/05 D-Dur, WoO I/06 d-Moll und WoO I/07 D-Dur; vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 2, S. 213f.

[22] Op. cit., Sp. 291.

[23] „Musikalische Berichte aus Prag“, in: Allgemeine musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat 4 (1820), Sp. 443-444; hier Sp. 444.

[24] „[...] und eine Ouverture von Hrn. Kaliwoda, absolvirtem Zögling des Conservatoriums, eröffnete das Concert [...].“ „Prag, den 3ten Januar“, in: AmZ 23 (1821), Sp. 73-76; hier Sp. 75.

[25] „Prag“, in: AmZ 23 (1821), Sp. 205-207; hier Sp. 206.

[26] „Prag“, in: AmZ 24 (1822), Sp. 45-51; hier Sp. 46.

[27] Alle vorstehenden Zitate: Op. cit., Sp. 50f. Unterstützt wurde Kalliwoda in seinem Konzert übrigens durch die gerade 15jährige Henriette Sontag, die eine Arie aus Rossinis „Mosè in Egitto“ sang. Henriette Sontag war eine enge Freundin seiner späteren Frau Therese Brunetti; vgl. Karl Strunz, „Kalliwoda“, in: Die Musik, a.a.O., S. 279f. Bis auf das Violinkonzert (E-Dur op. 9) ist keine der bis dahin aufgeführten Kompositionen Kalliwodas zu identifizieren; vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 57ff. Strauß-Németh unterläuft indes auf Grund eines Missverständnisses des Textes in der AmZ der Irrtum, den letzten Satz des Violinkonzerts als eigenständige Komposition zu werten; vgl. op. cit., S. 59f.

[28] Vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 56f.

[29] Vgl. Karl Strunz, „Kalliwoda“, in: Die Musik, a.a.O., S. 277; László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 61.

[30] „München, Uebersicht der Monate März und April“, in: AmZ 24 (1822), Sp. 369-375; hier Sp. 373.

[31] Zu Kreutzers Intermezzo in Donaueschingen vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 21-29..

[32] Vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 68.

[33] Karl Egon II. versah seinen Kapellmeister mit Empfehlungsbriefen nach Karlsruhe, Frankfurt am Main und Darmstadt; vgl. Karl Strunz, „Kalliwoda“, in: Die Musik, a.a.O., S. 282; ders., „Kalliwoda“, in: Deutsche Arbeit, a.a.O., S. 641.

[34] „Mannheim“, in: AmZ 26 (1824), Sp. 504-508; hier Sp. 507.

[35] So László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 134; Bd. 2, S. 36, und häufiger. Die Aufführung in Prag wird vom Korrespondenten der AmZ zusammen mit anderen Werken („Violinconcert, Rondeau für das Pianoforte und Variationen für die Violine“) erwähnt; summarisch wird festgehalten, man habe sich „sowohl an den geistreich erfundenen oder aufgefassten Gedanken, als an der lebendigen Durchführung und glänzenden Instrumentation“ erfreut; vgl. „Prag. Concerte“, in: AmZ 28 (1826), Sp. 166-168; hier Sp. 166.

[36] „Leipzig, im Februar“, in: AmZ 28 (1826), Sp. 162-166; hier Sp. 165.

[37]Ueber mehre Musikaufführungen in Leipzig“, in: Berliner Allgemeine Musikalische Zeitung [im Folgenden: BAMZ] 3 (1826), S. 93-94; hier S. 94. Der anonyme Verfasser dieses Berichts ist der renommierte Philosoph und Musikkritiker Amadeus Wendt (s.u.).

[38] „Leipzig, Ende Jenner“, in: Morgenblatt für gebildete Stände 20 (1826), S. 191-192; hier S. 192; Hervorhebungen original.

[39] Angezeigt im „Intelligenz-Blatt“ der AmZ vom April 1826 sowie in einer Annonce von Breitkopf & Härtel im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen vom 3. Mai 1826. Knapp anderthalb Jahre später folgte der Klavierauszug, angezeigt im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen vom 9. September 1827.

[40] Vgl. das „Verzeichnis der Konzerte in Leipzig mit Werken von Kalliwoda“, in: László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 336-337; vgl. auch Bert Hagels, Konzerte in Leipzig 1779/80 bis 1847/48. Eine Statistik, Berlin 2009, CD-ROM, passim.

[41] Vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 254.

[42] Ein weiterer Besuch Kalliwodas in Leipzig scheint im Sommer 1852 statt gefunden zu haben; vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 1, S. 248.

[43] Das Werk erschien 1845 in einer umgearbeiteten Fassung als Sonate für Klavier zu vier Händen op. 135; vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 2, S. 131f., 211f.

[44] In beiden Fällen handelte es sich um Uraufführungen; die Ouvertüre ist Felix Mendelssohn Bartholdy, der das Konzert am 26. Februar dirigierte, gewidmet; vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda, a.a.O., Bd. 2, S. 131 und 138.

[45] Vgl. „Aus Warschau“, in: NZfM 4 (1836), S. 158-159; hier S. 158.

[46] Vgl. „Aus Amsterdam“, in: NZfM 4 (1836), S. 174-176; hier S. 174.

[47] Vgl. „Fortschritte des holländischen Vereins zur Beförderung der Tonkunst“, in: AmZ 37 (1835), Sp. 826-828; hier Sp. 827.

[48] „Memoir of J. W. Kalliwoda“, in: The Musical World 8 (1838), S. 118-119; hier S. 119.

[49] F. G.: „Leipziger Musikleben. Elftes, zwölftes und dreizehntes Abonnementconcert“, in: Neue Zeitschrift für Musik 36 (1852), S. 45-47; hier S. 46.

[50] V.: „Zwölftes Abonnementconcert im Saale des Gewandhauses zu Leipzig. Donnerstag, den 8. Januar“, in: Signale für die musikalische Welt 10 (1852), S.17-18.

[51] „Todesfälle“, in: Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung 1 (1866), S. 412.

[52] Karl Strunz, „Kalliwoda“, in: Die Musik, a.a.O., S. 292, zählt „seine zehn wundervollen Messen für Vokal- und Instrumentalmusik und dreißig sonstige Kirchenkompositionen“ zu „seinen reifsten Werken“ (Hervorhebungen original).

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