MUSICA OBLITA

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Sinfonie d-Moll op. 34

Unter den anfangs genannten Komponisten von sinfonischer Musik ist Eberl der einzige Wiener. Deshalb nimmt es nicht Wunder, dass seine Werke am unmittelbarsten und am frühesten von der Konkurrenz Beethovens betroffen waren. 

Und in der Tat: Nichts macht die oben charakterisierte Offenheit der Situation deutlicher, als ein Vergleich der Geschichte der Rezeption der beiden großen Sinfonien Anton Eberls, Es-Dur op. 33 und d-Moll op. 34, mit den Reaktionen, welche die ersten Aufführungen von Beethovens Eroica bei der Kritik (und offenbar auch beim Publikum) hervorrief. 

Wenn auch keineswegs geleugnet werden soll, dass die Zeugnisse der frühen Eroica-Rezeption, sowohl was Ausführlichkeit und Gewichtung[1], als auch was die Aufnahme in nicht fachspezifischen Zeitschriften betrifft[2], eine qualitativ neue Stufe der öffentlichen Auseinandersetzung mit Instrumentalmusik markieren, so bleibt doch festzuhalten, dass auch Eberls beide Sinfonien an diesem Prozess der Aufwertung reiner Instrumentalmusik im öffentlichen Bewusstsein nicht nur Teil hatten, sondern ihn auch beförderten.[3]  

Die am 06. Januar 1804[4] uraufgeführte Sinfonie Es-Dur op. 33 erklang erneut im Januar 1805 in einem der halböffentlichen Sonntagskonzerte der Bankiers Würth und Fellner in Wien, in unmittelbarer Konkurrenz zur ersten Aufführung der Eroica am 20. Januar[5] im Rahmen der gleichen Konzerte; und während der Wiener Korrespondent der in Leipzig erscheinenden Allgemeinen musikalischen Zeitung über Eberls Sinfonie festhält, sie enthalte „so viel Schönes und Kräftiges“ und sei „mit so viel Genie und Kunst behandelt, dass sie ihre Wirkung schwerlich irgendwo verfehlen wird, wo man sie gut einstudirt hat“, heißt es im gleichen Bericht über die Eroica, in ihr sei „des Grellen und Bizarren allzuviel zu finden, wodurch die Uebersicht äusserst erschwert wird und die Einheit beynahe ganz verloren geht.[6] 

Fünf Tage später, am 25. Januar 1805, erfolgte im Jahnischen Saal in Wien die Uraufführung der Sinfonie d-Moll op. 34 von Eberl. Der Rezensent der Uraufführung zählte sie „zu seinen gelungensten Kompositionen“, welche „den lautesten Beyfall“ erhalten habe.[7] In einer weiteren, für die Berliner Zeitschrift Der Freimüthige verfassten Kritik wird anlässlich der gleichen Aufführung festgehalten:

Eine ganz neue Eberlsche Symphonie aus D entsprach ganz dem, was man von diesem großen Komponisten zu erwarten berechtigt ist, sie vereint schöne und angenehme Ideen mit Neuheit, Kühnheit, und Kraft; ist voll regen Lebens, voll genialischer Wendungen, und doch dabei zu einer schönen Einheit verbunden.[8]

Dem gegenüber wird Beethoven anlässlich der ersten der Öffentlichkeit frei zugänglichen Aufführung der Eroica am 07. April 1805 im Theater an der Wien empfohlen, sich an Eberls Sinfonien – neben denen Mozarts und seinen eigenen früheren – ein Vorbild zu nehmen:

[...] die Sinfonie würde unendlich gewinnen, (sie dauert eine ganze Stunde) wenn Beethoven sich entschliessen wollte sie abzukürzen, und in das Ganze mehr Licht, Klarheit und Einheit zu bringen; Eigenschaften, welche die Mozartsschen Sinfonieen aus G moll und C dur, die Beethovenschen aus C und D, und die Eberlschen aus Es und D, bey allem Ideenreichthume, bey aller Verwebung der Instrumente und bey allem Wechsel überraschender Modulationen niemals verlassen.[9]

Wiederum knapp einen Monat später, am 01. Mai 1805, erklang Eberls Sinfonie op. 34 in einem Konzert der auch aus der Beethoven-Biographie bekannten Pianistin Marie Bigot im Augarten; diesmal versetzte das Werk den Rezensenten der Allgemeinen musikalischen Zeitung in wahren Enthusiasmus:

[...] eine gewaltige, kühne Dichtung, in welcher die Kraft dieses Tonsetzers und das Feuer seines Geistes frey und keck herausbricht. In dem letzten fugirten Stücke liegt grosse Stärke, und in dem schönen Marsch ein ganz vorzüglicher Instrumentaleffekt. Seit den Mozartschen, Haydnschen und Beethovenschen Sinfonieen ist wol nichts in dieser Gattung erschienen, das sich so ehrenvoll jenen zur Seite stellen könnte.[10]

Ist angesichts der bisher zitierten Rezeptionszeugnisse nicht mehr verwunderlich, dass Eberl in eine Reihe mit Haydn, Mozart und Beethoven gestellt wird[11], so ist in dieser frühen Phase mit "Beethoven" sicherlich lediglich der Komponist der ersten beiden Sinfonien op. 21 und op. 36 gemeint; die Eroica stößt auch weiterhin auf Ablehnung. Der Wien-Korrespondent der vom umtriebigen ehemaligen königlich-preußischen Kapellmeister Johann Friedrich Reichardt redigierten Berlinischen musikalischen Zeitung berichtet etwa unter dem Datum 02. Mai 1805:

Eine neue Beethovensche Symphonie aus Es ist in den meisten Parthieen so grell und verworren, daß nur jene daran Behagen finden konnten, welche die Fehler und Vorzüge dieses Componisten mit gleichem, zuweilen bis ins Lächerliche streifendem Feuer vergöttern.[12]

An gleicher Stelle steht über Eberls op. 34 zu lesen:

In einer neuen großgedachten und tiefempfundenen Eberlschen Symphonie aus D zeigte dieser Componist eine ergreifende Leidenschaftlichkeit, hohes Pathos, und die Kunst, einen starkvorströmenden Ideenreichthum mit besonnener Kraft zu beherrschen.[13]

Erst in Eberls Todesjahr 1807 scheint sich das Blatt endgültig zu Gunsten Beethovens gewendet zu haben. Der endgültige Durchbruch Beethovens darf dabei in der Leipziger Erstaufführung der Eroica am 29. Januar 1807 (der bis Ostern 1807 gleich zwei weitere Aufführungen folgten) und deren publizistischer Begleitung durch Friedrich Rochlitz, den Herausgeber der Allgemeinen musikalischen Zeitung, gesehen werden. Knapp drei Wochen nach der Aufführung lässt Rochlitz eine als Leitartikel aufgemachte, sechzehn Spalten umfassende Rezension des Eroica-Stimmdruckes erscheinen[14], der zwei Monate danach eine ausführliche Berichterstattung über das Premierenkonzert[15] folgt. 

Eberls d-Moll-Sinfonie fand hingegen anlässlich ihrer Leipziger Erstaufführung am 21. November 1805[16] nur ein reserviertes Echo in der Allgemeinen musikalischen Zeitung, in dem zwar die formalen Eigenheiten des Werkes positiv hervorgehoben werden, gleichwohl aber auf Eberls ungewöhnliche Instrumentation hingewiesen wird:

Dass der Verfasser der Sinfonie einen andern Zuschnitt, als den gewöhnlichen, gegeben hat, finden wir sehr gut; auch ist es offenbar, dass er eine Menge Masse in sein Werk zu bringen und diese auf eine geschickte, vornähmlich heftige Wirkung beabsichtigende Weise zu gruppiren verstanden hat. Interesse wird diese Sinfonie darum ohne Zweifel überall erregen, wo man sie gut ausführen kann; das ist aber, bey den aufgehäuften Schwierigkeiten, und bey der Art, wie die Ideen, nicht selten zerstückelt, den verschiedenen Instrumenten gegeben worden sind, gar keine Kleinigkeit.[17]

Das Leipziger Publikum hatte die Sinfonie gar, wie der Verleger Ambrosius Kühnel am 12. März 1806 an Eberl schreibt, „mit Kälte aufgenommen“.[18]  

Eine Rezension des bereits Ende 1805 erschienenen Stimmdrucks[19] wurde erst im November 1807 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung publiziert; verglichen mit den Ausmaßen der Eroica-Rezension ist sie mit vier Spalten geradezu knapp gehalten.[20] Obwohl der Rezensent feststellt, die ungünstige Leipziger Erstaufführung habe dazu beigetragen, dass „diesem Tonstücke allzu wenig Gerechtigkeit widerfahren“ und „daher die Wiederholung der Aufführung desselben ziemlich vernachlässigt“ worden sei, wird Eberls Werk nun den Sinfonien Haydns und Mozarts untergeordnet; ihm fehle es „zwar nicht an sehr hervorstechenden Zügen des Genie's, nicht an Originalität, wol aber noch an demjenigen Grade der Vollendung [...], den man hauptsächlich an den Werken der genannten Heroen bewundert - ein Grad der Vollendung, der nur bey längerer Erfahrung und bey öfterer Bearbeitung einer und ebenderselben Gattung der Kunstwerke erreicht werden[21] könne. 

Erkennbar wird hier Eberls rasanter Aufstieg als Komponist – er vollzog sich innerhalb von drei Jahren - als Grund für die angeblichen Mängel der Komposition herangezogen. Als konkreten Anhaltspunkt hält der Rezensent fest, die Sinfonie sei vor Allem „wegen ihres zu reich verzierten, mit rauschenden Instrumenten zu überfüllten, und dabey immer etwas zerstückelten Stils“ beim Leipziger Publikum durchgefallen. Man müsse sie häufiger hören, „um ihr vielen Geschmack abzugewinnen.[22] Diesen Gefallen tat die Direktion der Gewandhauskonzerte dem Rezensenten, denn trotz der ungünstigen Erstaufführung gehörte das Werk zusammen mit Eberls Es-Dur-Sinfonie für die nächsten zwei Jahrzehnte zum festen Bestandteil des Leipziger Repertoires; alljährlich erklang entweder op. 33 oder op. 34 im Rahmen der Gewandhauskonzerte.[23] Der Rezensent einer Aufführung der d-Moll-Sinfonie im Jahr 1824 empfand auch die 1807 noch beanstandeten Härten und Brüche, das „Zerstückelte“, nicht mehr als kritikwürdig; nunmehr galt die Sinfonie als „ziemlich natürlich und angenehm verbunden.[24]

Erst mit Beginn der 1830er Jahre scheinen die beiden Sinfonien Eberls ihre Anziehungskraft endgültig verloren zu haben. Am 07. Februar 1833 erklang letztmalig eine Sinfonie von Eberl im Rahmen der Gewandhauskonzerte.[25]

Jin-Ah Kim / Bert Hagels

 

[1] Vgl. Martin Geck, Die Taten der Verehrer, in: Martin Geck/Peter Schleuning: „Geschrieben auf Bonaparte“. Beethovens „Eroica“: Revolution, Reaktion, Rezeption, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 191-398, hier S. 202f.

[2] Vgl. Geck, op. cit., S. 228ff.

[3] Immerhin eröffnet der Bericht über die Uraufführung von Eberls op. 33 (Nachrichten. Wien, in: Allgemeine musikalische Zeitung VI [1803/04], Sp. 467-471) die Reihe der Korrespondentenberichte aus Wien, in denen neue sinfonische Musik über die bis dahin üblichen zwei bis drei Zeilen hinaus ausführlicher gewürdigt wird; vgl. die in Fußn. 8 nachgewiesene Rezension.

[4] Vgl. Jin-Ah Kim, op. cit., S. 39. In der in Fußn. 3 nachgewiesenen Rezension dieses Konzertes wird Eberls Sinfonie als „ausserordentlich gelungen, voll kühner und neuer Ideen“ gekennzeichnet (Sp. 469).

[5] Vgl. zur Rekonstruktion des Datums der Eroica-Aufführung: Peter Schleuning, Das Uraufführungsdatum von Beethovens „Sinfonia eroica“, in: Die Musikforschung 44 (1991), S. 356-359.

[6] Wien, den 28ten Jan., in: AMZ VII (1804/05), Sp. 319-323, beide Zitate Sp. 321.

[7] Ebd., Sp. 322.

[8] Der Freymüthige vom 7. 2. 1805; zit. nach: Mary Sue Morrow, Of Unity and Passion: The Aesthetics of Concert Criticism in Early Nineteenth Century Vienna, in: 19th Century Music, XIII, No. 3 (1990), S. 193-206, hier S. 204.

[9] Wien, in: AMZ VII (1804/05), Sp. 501-503.

[10] Wien, Anfang des Mays, in: AMZ VII (1804/05), Sp. 532-537, hier Sp. 536.

[11] Vgl. Stephen C. Fisher, Anton Eberl: Life and Works, in: The Symphony 1720-1840, Series B, Vol IX, Garland 1983, S. xxx-xviii, hier S. xxxi.

[12] Wien, den 2ten Mai 1805, in: Berlinische Musikalische Zeitung I (1805), S. 174.

[13] Ebd.

[14] AMZ IX (1806/07), Sp. 319-334; dazu ausführlich: Geck, op. cit., S. 211f. Die Autorschaft dieser Rezension ist umstritten; während Geck Rochlitz selbst für den Verfasser hält, vermutet Robin Wallace (Beethoven's Critics. Aesthetic dilemmas and resolutions during the composer's lifetime, Cambridge 1986, S. 16f.) Friedrich August Kanne als Autor; Stefan Kunze gibt in der von ihm herausgegebenen Sammlung von Beethoven-Rezensionen (Ludwig van Beethoven. Die Werke im Spiegel seiner Zeit, Laaber 1987, S. 57-67) keinen Hinweis auf den Verfasser.

[15] Kirchen- und Konzertmusik in Leipzig. Neujahr bis Ostern, in: AMZ IX (1806/07), Sp. 493-501.

[16] Vgl. zum Datum der Aufführung Kim, op. cit., S. 384, Anm. 463.

[17] Musik in Leipzig, von Michael bis Weihnachten 1805, in: AMZ VIII (1805/06), Sp. 233ff., hier Sp. 234. Die Unterzeichnung des Beitrags mit „D. Redakt.“ lässt auf Friedrich Rochlitz als Autor schließen.

[18] Zitiert nach: Kim, op. cit., S. 383.

[19] Angezeigt im Intelligenzblatt der AMZ vom Dezember 1805; eine weitere Anzeige erfolgte im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen vom 22. Januar 1806.

[20] [Rez.:] Sinfonie à grand Orchestre, composée […] par Antoine Eberl. Oeuv. 34 […], in: AMZ X (1807/08), Sp. 747-750.

[21] Ebd., Sp. 747f.

[22] Ebd., Sp. 748; vgl. zu Gründen und Kontext der Kritik an Eberls  Instrumentationstechnik: Kim, op. cit., S. 364ff.

[23] Alfred Dörffel, Statistik der Concerte des Gewandhauses zu Leipzig, Leipzig 1881, S. 17. Dörffel unterscheidet zwischen einer Sinfonie in d-Moll und einer in D-Dur; in beiden Fällen dürfte es sich um op. 34 handeln.

[24] Leipzig, am 26sten Juny. Abonnement-Concerte von Michaelis 1823 bis Ostern 1824, in: AMZ XXVI (1824), Sp. 485-490, hier Sp. 486. Die Aufführung fand am 24. Januar 1824 statt; vgl. Dörffel, op. cit., S. 17.

[25] Dörffel, ebd.; Tonart oder opus-Zahl sind nicht genannt, so dass offen bleiben muss, ob es sich um op. 33 oder op. 34 gehandelt hat.

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