MUSICA OBLITA

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum

Sinfonie Nr. 1 Es-Dur op. 6

Fescas erste Sinfonie entstand in seiner Kasseler Zeit, sicher nach 1809 und spätestens im Sommer 1812, möglicherweise während Fescas krankheitsbedingter Abstinenz von Konzertauftritten in den Jahren 1810/11. Am 18. Oktober 1812 erfolgte die Uraufführung in einem von Fesca selbst organisierten Konzert. Der Kasseler Berichterstatter der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung bescheinigt dem Werk Gelungenheit und den Komponisten eine große Zukunft:

Dies Werk ist der erste, sehr wohl gelungene Versuch dieses jungen, aller Aufmerksamkeit werthen Componisten. Schon früher trat er in mehrern Privatzirkeln mit einigen Quartetten seiner Composition auf, die schon viele Gediegenheit hatten, und die man mit vollem Recht unter die guten Quartetten rechnen kann. Die, bey allen Kennern hierdurch erregte Erwartung wurde durch diese Symphonie vollkommen befriedigt. Sie (E dur) fängt mit einem ernsten, kräftigen Einleitungs-Adagio an, dem ein sehr feuriges, mit vielem Fleiss ausgearbeitetes Allegro folgt. Hierauf eine launige Menuett, Andante, und ein sehr künstlich verwebtes Finale. Das Werk ist im Ganzen überaus brav, mit Fleiss und Sorgsamkeit, nicht nach modischen musikal. Sansculottismus, ausgearbeitet, und zeugt von einem glücklichen Talent und von soliden Kenntnissen. Was die strengere Kritik hier und da im Einzelnen wol etwa zu bemerken hätte, benimmt dem Werke im Allgemeinen nicht seinen Werth; und ein Componist, dessen erste Symphonie so gelingt, giebt gewiss die gegründetste Hoffnung, das zu werden, was andre, auf gleicher Stufe, sich schon zu seyn dünken - ein Meister. Bey Hrn. F. kann man dies um so mehr erwarten, da er weder durch unzeitige und unreife Lobpreisungen, noch durch Eigendünkel, von seiner fernern Vervollkommnung abgehalten wird, sondern durch seine Bescheidenheit sich eben so auszeichnet, wie durch sein Talent. Auch die Ausführung der Symphonie gelang vortrefflich. Ich halte es für Pflicht, das Publicum, und selbst jede rechtliche Verlagshandlung, auf dieses Werk, das eine so gute Nachkommenschaft verspricht, aufmerksam zu machen.[1]

Noch in der gleichen Saison 1812/13 erklang das Werk ein zweites Mal, und zwar im ersten der insgesamt sechs Abonnementkonzerte der Kasseler musikalischen Akademie[2], einer Vereinigung von Dilettanten, an deren Zusammenkünften auch Musiker der Hofkapelle aktiv Teil nahmen. Trotz des nachdrücklichen Hinweises in der oben zitierten Rezension kam es vorerst jedoch nicht zu einer Veröffentlichung des Werkes. Wahrscheinlich hat Fesca es jedoch spätestens im Sommer 1816 dem Wiener Verlag Mecchetti zur Veröffentlichung überlassen.[3] Dieser ließ sich jedoch Zeit mit der Veröffentlichung. Als die Sinfonie am 26. Juni 1817 im Rahmen eines Konzertes „zum Besten der Armen“ in Döbling bei Wien erklang, spielte man aus dem Manuskript. Der Berichterstatter der Allgemeinen musikalischen Zeitung mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat [im Folgenden: AmZÖ] resümiert knapp:

Der erste und letzte Satz der Symphonie hat ziemlichen Gehalt; im Ganzen vermisst man den wahren Symphonienstyl; die Blasinstrumente sind schwierig behandelt und fordern mehr Proben.[4]

Spätestens Anfang April 1818 lag der Druck jedoch vor[5], denn am 11. April 1818 erschien in der AmZÖ eine kurze Rezension, die vermutlich von Anselm Hüttenbrenner (1794-1868) verfasst wurde[6] und lobende Worte für das Werk fand (bei dem im ersten Satz erwähnten Konzert handelt es sich um eine Veranstaltung der Wiener Gesellschaft  der Musikfreunde von 29. März 1818)[7]:

Diese jüngst im Gesellschaftsconcerte mit Beyfall aufgeführte Symphonie gehört zu den eben nicht sehr häufigen Kunstproducten, welche sich durch eine edle Simplicität, natürliche Tonfolgen, ansprechende und verständig ausgearbeitete Thematen, durch Plan, Ordnung, Gründlichkeit im Theoretischen, kenntnisreiche Erfahrung im Praktischen ehrenvoll auszeichnen. Sie besteht, ausser der feyerlichen, imposanten Introduction aus vier Sätzen: einem Allegro (Es 3/4), Andante con moto (As 2/4), Menuetto (Es), Trio (B) und dem Finale, Allegro (Es, 2/4), unter welchen wir das zweyte Stück als vorzüglich gelungen und meisterlich gearbeitet besonders empfehlen. Wir freuen uns, dass Herr Fesca – bereits so anziehend als Quartetten-Componist – auch im Felde der grossen Instrumentalmusik mit solchen entschiedenen Vorzügen und glänzendem Erfolge auftritt, wodurch sich der wahren Kunst für die Zukunft eine äusserst erfreuliche Aussicht offenbaret.[8]

Sehr viel enthusiastischer noch gibt sich der Verfasser einer am 3. Juni 1818 in der AmZ erschienenen Rezension; in der mit zahlreichen Notenbeispielen und Analysen der einzelnen Sätze ausgestatten Kritik, deren Verfasser mutmaßlich Friedrich Rochlitz (1769-1842), der Herausgeber der Zeitschrift bis 1818, ist, heißt es u.a.:

Mit wahrem Vergnügen spricht Rec. sein Urtheil über dieses schöne Werk aus, welches ihn bey der sorgfältigsten Prüfung, wie wenige aus den letzten Jahren befriedigte, und worauf unser kunstliebendes Publicum bald aufmerksam gemacht werden muss. - Wenn es wahr ist, dass ein Tonsetzer gewöhnlich seine eigenste Individualität, das Eigenste seines Gemüthscharakters, in seine Arbeiten überträgt: so ist Hr. Fesca - dessen Bekanntschaft sich Rec. leider nicht erfreut - ein stiller, besonnener, ruhiger, menschenfreundlicher Mann; in seiner Seele wohnen vor allem zarte, reine, beglückende Gefühle; alle starken erschütternden Leidenschaften sind ihm fremd; mit Liebe umfasst er die Welt; seine Zufriedenheit mit sich selbst und den Fügungen des Schicksals wird nicht bedeutend getrübt, und die lange beschwerliche Lebensreise dünkt ihm meist ein erquickender Morgenspaziergang. Dies sind wenigstens die Farben, womit dies Tongemälde angelegt und ausgeführt ist. Daraus folgt aber keineswegs, dass es ihm an Kraft und männlichem Ernst gebreche; oft erhebt sich der Styl zu bedeutender Grösse; starke Massen treten hervor, und bringen durch den Contrast Schatten und Licht hervor: nur sind sie nicht gehäuft, und vor allem, einen heftigen hochfahrenden Lärm, ein wildes, verworrenes und sinnbetäubendes Gepolter würde man vergebens darin suchen. - Dass unserm Meister Mozarts wundervolle Symphonie in Es vorgeschwebt, ja ihm vielleicht Modell gestanden habe, unterliegt keinem Zweifel, und wird durch nachfolgende Analyse noch deutlicher hervorgehen. Dennoch ist hier von einer Copie nicht im geringsten die Rede: nur wie einen Canova Griechenlands herrliche Reliquien begeisterten, und deren Abspiegelung in seinem Innern eigengestaltete, selbstständige Werke erzeugte, so ziehen des verewigten Sängers herrliche Klänge Andere, und auch Hrn. F. an. Man empfängt die Richtung der Gefühle und des Geschmacks; man wählt die Form: und die ähnliche, und doch so unähnliche Schwester ist da![9]

Die Hoffnung, die der Verfasser zum Abschluss zum Ausdruck bringt, dass sich nämlich für den Komponisten und sein Werk „bey den hoffentlich bald zu erwartenden öffentlichen Productionen, ein glänzender Erfolg“ einstellen werde, sollte bald in Erfüllung gehen. Neben Aufführungen in Graz durch den Steyermärkischen Musikverein (24.12.1818) und weiteren in Wien (15.12.1820)[10] gehörte die Sinfonie für mehrere Jahre zum alljährlich aufgeführten Standardrepertoire der Gewandhauskonzerte in Leipzig. Mutmaßlich zum ersten Mal erklang sie dort am 9. Mai 1819, dem letzten Abonnementkonzert der Saison 1818/19.[11] Auf dem Programmzettel ist zwar nur unspezifisch von einer neuen Symphonie von Fesca die Rede; da aber die Daten der Leipziger Erstaufführungen der beiden anderen Sinfonien Fescas eindeutig zu identifizieren sind (Nr. 2 op. 10: 20.11.1817; Nr. 3 op. 13: 25.11.1819), kann mit der hier als „neu“ bezeichneten Sinfonie nur die erste gemeint sein. Abgesehen von der Saison 1820/21 erklang das Werk in jeder Saison bis 1825/26:

16.03.1820

10.01.1822

12.10.1823

04.11.1824

29.09.1825

Anlässlich der Aufführung im Oktober 1823 war das Urteil des Berichterstatters der AmZ im Allgemeinen enthusiastisch, im Einzelnen aber mit herber Kritik durchsetzt:

„[...] ein herrliches, auch durch guten Vortrag ausgezeichnetes Werk, dessen erster Satz unstreitig der schönste ist. Das treffliche, sehr geistreich durchgearbeitete Andante ist doch etwas zu lang, und der letzte Satz mindert den Gesammteindruck durch zu viele Violinpassagen, die der Aufmerksamkeit eine für die Symphonie viel zu einseitige Richtung geben.[12]

Die Aufführung vom Oktober 1825 entlockte dem Leipzig-Korrespondenten der Berliner Allgemeinen musikalischen Zeitung die Feststellung:

„[...] unstreitig die natürlichste, anspruchloseste und - gelungenste von dieses Komponisten Symphonien.[13]

Das Werk wurde in vielen weiteren Städten gespielt, so in Riga (Sommer 1822), in Sheffield (22.07.1824), in Nürnberg (Winter 1824/25). Besonders lang hielt es sich Breslau; nachdem es in der Saison 1830/31 erklungen war,  spielte man es dort noch im Winter 1840/41.[14]

Die in der Rezension des Uraufführungskonzerts angesprochene „strengere Kritik“ dürfte wohl als Auffälligstes bemängelt haben, dass der Kopfsatz des Werkes unverhohlen einem Vorbild huldigt, nämlich dem entsprechenden Satz aus Mozarts Symphonie KV 543 in der gleichen Tonart.[15] Beide Sätze haben eine stark harmonisch bestimmte langsame Einleitung und einen im tänzerischen 3/4-Takt gehaltenen Allegro-Teil gemeinsam. Auch die nach der Vorstellung des jeweiligen Hauptthemas folgenden Orchester-Tutti weisen große Ähnlichkeiten auf. 

In einem Punkt aber gibt sich Fesca hier (und in den folgenden Sätzen) wesentlich radikaler als Mozart: Er treibt das eher von Haydn als von Mozart übernommene Prinzip des „durchbrochenen Satzes“ – des instrumentatorischen Wechsels innerhalb von Phrasen und Formabschnitten – in einem bis dahin unerhörten Ausmaß voran. Das Hauptthema des ersten Satzes beispielsweise wird nicht nur unmittelbar nach seinem ersten Erklingen in den Streichern in den Holzbläsern wiederholt - das ist zeitübliche Praxis -, es wird darüber hinaus bis zum Einsatz des Orchester-Tuttis instrumentatorisch gewissermaßen „zerlegt“ in seine einzelne Motive, indem einzelne seiner Teile in den Streichern variiert wiederholt werden, während es vollständig in den Holzbläsern erklingt. Diese Verfahrensweise nimmt Fesca für das Seitenthema, das erkennbar vom Hauptthema abhängig ist, in abgewandelter Form (nämlich in Verteilung auf hohe und tiefe Lagen statt auf Holzbläser und Streicher) wieder auf, bevor die Schlussgruppe als kräftiges Orchester-Tutti die Exposition beendet. Die Durchführung wird weitgehend durch eine Fugato beherrscht, dessen Subjekt vom Kopf des Hauptthemas abgeleitet ist. Der die Exposition weitgehend unverändert übernehmenden Reprise folgt eine kurze Coda zur Bekräftigung der Haupttonart Es-Dur.

Das Prinzip des „durchbrochenen Satzes“ bestimmt auch die Statztechnik des langsamen zweiten Satzes in As-Dur, dessen Anfangsthema die orchestralen Blöcke von Streichern und Bläsern strukturell einsetzt: Als Melodie-Linie in einer Orchestergruppe ist es kaum vorstellbar. Auf ähnliche Weise wie im ersten Satz kommt das Prinzip im Trio des dritten Satzes zur Anwendung, wobei das verwendete Motiv erkennbar auf Wendungen aus dem Hauptthema des  ersten Satzes zurückgreift. Dieser dritte Satz, ein Menuett, ist auch insofern bemerkenswert, als die Tonart seines Hauptteiles merkwürdig zwischen c-Moll und Es-Dur changiert. 

Lediglich das Finale, formal eine eigentümliche Mischform aus Sonaten und Rondo, verzichtet auf die extensive Verwendung des „durchbrochenen Satzes“; Haupt- und Seitenthema, beide eng miteinander verwandt, sind in ihrem durchgehenden Fluss typische Rondo- bzw. Rondo-Couplet-Themen. Gleichwohl wertet Fesca den Satz durch die erneute Verwendung kontrapunkischer Satzweisen im Mittelteil und eine codaartige Schluss-Steigerung sinfonisch auf.

Bert Hagels

[1] „Briefe über die Musik in Kassel. Achter Brief“, in: AmZ XV (1813), Sp. 132-137; hier: Sp. 134f.

[2] „Briefe über die Musik in Kassel. Neunter Brief“, in: AmZ XV (1813), Sp. 544-550; hier Sp. 547. Leider sind die einzelnen Konzerte dieser Reihe, in deren fünftem Fescas Zweite Sinfonie uraufgeführt wurde, nicht genau zu datierern.

[3] Vgl. Markus Frei-Hauenschild, Friedrich Ernst Fesca (1789-1826). Studien zu Biographie und Streichquartettschaffen, Göttingen 1998, S. 464f.

[4] „Concerte“, in: Allgemeinen muskalischen Zeitung mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat [im Folgenden: AmZÖ] 1 (1817), Sp. 233-234; hier Sp. 234.

[5] Darauf verweist auch die Plattennummer (542) des Druckes. Wenn Mecchetti auch die Veröffentlichung von Fescas Sinfonie nicht in der Wiener Zeitung annoncierte, so zeigte er doch die Drucke mit den Nummern 538, 540 und 545 in der Wiener Zeitung vom 18.04.1818 an; vgl. Alexander Weinmann, Verlagsverzeichnis Pietro Mecchetti quondam Carlo (Beiträge zur Geschichte des Alt-Wiener Musikverlags, Reihe 2, Folge 10), Wien 1966, S. 18.

[6] Vgl. Frei-Hauenschild, op. cit., S. 465.

[7] Vgl. Frei-Hauenschild, op. cit., S. 464.

[8][Rez. :] Première Sinfonie [...] composée par F. E. Fesca. Oeuvre VI [...], in : AmZÖ 2 (1818), Sp. 232.

[9] „[Rez.:] Première Sinfonie à grand Orchestre - - comp. par F. E. Fesca [...]“, in: AmZ XX (1818), Sp. 393-398; hier Sp. 393f.

[10] Vgl. Frei-Hauenschild, op. cit., S. 464.

[11] Vgl. den in drei Exemplaren im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig vorhandenen Programmzettel des Konzerts, Signaturen: MT/2203/2006; MT/441/2002; MT/503/2002. Vgl. auch: Alfred Dörffel, Statistik der Concerte des Gewandhauses zu Leipzig, Leipzig 1881, S. 18.

[12] „Leipzig, am 26sten Juny. Abonnement-Concerte von Michaelis 1823 bis Ostern 1824“, in: AmZ XXVI (1824), Sp. 485-490; hier: Sp. 485.

[13] „Ueber mehre Musikaufführungen in Leipzig“, in: Berliner Allgemeinen musikalischen Zeitung II (1825), S. 373-374; hier: S. 374.

[14] Alle Angaben nach: Frei-Hauenschild, op. cit., S. 464.

[15] Ausführlich zur Abhängigkeit von Fescas Sinfonie von Mozarts KV 543: Christoph Hust, 'Gründlich und mit Geschmack gesezt'. Untersuchungen zur Sinfonie im nördlichen Deutschland um 1790, Göttingen 2011, S. 193-198.

Home        

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum