MUSICA OBLITA

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Concertino Nr. 5 für Violine und Orchester a-Moll op. 133

Kalliwodas Concertino für Violine Nr. 5 a-Moll op. 133 ist wahrscheinlich in einer Frühfassung Anfang 1840 komponiert und um 1843/44 zu seiner endgültigen Gestalt ungearbeitet worden. Die Vollendung der Komposition fällt in eine Zeit, in der sich Kalliwoda als Komponist in einer Krise befand. Der erfolgsverwöhnte Donaueschinger Hofkapellmeister hatte in den Jahren zuvor hinnehmen müssen, dass seine letzten beiden Sinfonien (Nr. 7 g-Moll WoO I/1, Uraufführung 18. Februar 1841, Leipzig; und Nr. 6 F-Dur op. 132, Uraufführung 7. Dezember 1843, Leipzig) weder beim Publikum noch bei der Kritik jene Begeisterung hervorriefen, die bis dahin alle seine Sinfonien erregt hatten. Offenbar hat ihn diese Erfahrung tief getroffen, und Kalliwoda setzte in seinen Kompositionen neue Prioritäten: Die als siebte komponierte und als sechste gezählte Sinfonie in F-Dur op. 132 sollte sein letztes Werk dieser Gattung bleiben. 

Anscheinend erstreckte sich seine Unsicherheit in jener Zeit auch auf konzertante Werke mit Orchester; denn in den Jahren 1843/44 unternahm er mehrere Anläufe zur Komposition seines fünften Violinconcertinos, bevor er mit dem vorliegenden Werk an die Öffentlichkeit trat: Aus einem ursprünglich Troisième grand Rondeau betitelten Werk[1] gedachte er durch Hinzufügung einer umfangreichen Introduktion sein fünftes Violinconcertino in E-Dur zu machen (WoO II/04); diese Lösung verwarf er.[2] Einem zweiten Werk in F-Dur, in den erhaltenen abschriftlichen Stimmen ebenfalls als „5me Concertino“ bezeichnet, widerfuhr das gleiche Schicksal (WoO II/05).[3] Das vorliegende endgültige Concertino Nr. 5 wurde ursprünglich wahrscheinlich als Violinkonzert mit drei abgeschlossenen Sätzen komponiert und erst später zu einem einsätzigen Concertino umgearbeitet. Möglicherweise hat Kalliwoda die dreisätzige Frühfassung in einem Konzert vom 12. März 1840 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt; denn das gedruckte Programm dieses Konzert verzeichnet ein „Violinkonzert“ von Kalliwoda[4], das in der Konzertkritik in der Allgemeinen musikalischen Zeitung mit Charakteristika beschrieben wird, die von allen in Betracht kommenden Kompositionen Kalliwodas nur auf die handschriftlich überlieferte Frühfassung des fünften Concertinos passen:

Auch erfreute uns Herr Kapellmeister J. W. Kalliwoda durch den Vortrag eines von ihm komponirten neuen noch ungedruckten Violin-Konzerts in drei Sätzen. Es ist ein groß angelegtes, schwieriges, dabei aber sehr ansprechendes und solid geschriebenes Werk, dessen erster Satz (A moll) für die Wirkung eines Solostücks nur vielleicht etwas zu weit ausgesponnen sein dürfte. Das Andante (E dur) und der Schlusssatz (A dur) sind beide schön erfunden und besonders das Motiv des letzten Satzes sehr wirksam und interessant. Ueber das anerkannt schöne, echt künstlerische Spiel des Herrn Kalliwoda noch viel zu sagen, wäre überflüssig; schon bei seinem Auftreten wurde der geehrte Künstler mit Applaus empfangen, der sich sowohl während des Spiels, als am Schlusse jedes einzelnen Satzes auf das lebhafteste wiederholte [5]

Kalliwodas einziges publiziertes Violinkonzert steht in E-Dur und war bereits in den 1820er Jahren erschienen[6], zwei weitere ungedruckte Violinkonzerte stehen in den Tonarten e-Moll und D-Dur und kommen aus verschiedenen weiteren Gründen nicht in Betracht[7]; an weiteren ungedruckten Kompositionen kämen nur die bereits erwähnten Concertini WoO II/04 in E-Dur und WoO II/05 in F-Dur in Frage; dazu passen die Tonartenangaben in der Rezension nicht, ebenso wenig wie zu Kalliwodas sechstem Violin-Concertino in D-Dur, das 1848 im Druck erschien[8], aber natürlich schon eher entstanden sein könnte. 

Folgt man der hier vertretenen These, dass es sich nämlich bei dem am 12. März 1840 von Kalliwoda im Leipziger Gewandhaus gespielten Violinkonzert um die Frühfassung des Concertinos op. 133 handelt, so ergibt sich noch ein anderer Zusammenhang: In der Konzertkritik wird als einziges Monitum die zu große Ausdehnung des ersten Satzes angesprochen; und ein Vergleich der Früh- mit der Endfassung des Concertinos zeigt, dass Kalliwoda Kürzungen primär am Kopfsatz vornahm. Es wäre nicht das erste Mal, dass Kalliwoda empfindlich und selbstkritisch auf Vorhaltungen der Leipziger Kritik reagierte, wie beispielsweise die Geschichte seiner zweiten Sinfonie zeigt.[9] Wie diese ließ er das Violinkonzert in a-Moll vorerst ungedruckt, und mutmaßlich um 1843/44 unterzog er es der Umarbeitung zum Concertino.

Im Druck erschien die endgültige Concertino-Fassung im November 1844, gleichzeitig als Stimmdruck für Orchester und als Werk für Violine und Pianoforte.[10] Gewidmet ist das Werk dem Geiger Ferdinand David (1810-73), der von 1836 bis zu seinem Tod Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters war. David war in dieser Eigenschaft Nachfolger des mit Kalliwoda befreundeten Heinrich August Matthäi (1781-1835), dem der Donaueschinger Hofkapellmeister sein 1829 im Druck erschienenes erstes Violinconcertino (E-Dur op. 15) gewidmet hatte.[11] Davids Verhältnis zu Kalliwoda scheint indes nicht so eng gewesen zu sein wie Matthäis: dieser ist auf dem Titelblatt des Stimmdrucks ausdrücklich als „Ami“ bezeichnet, jener hingegen neutral als „Monsieur“.
 

Bert Hagels

[1] Nach den Rondos opp. 37 und 84; am 1. Januar 1844 spielte Kalliwoda im Gewandhaus zu Leipzig ein als Introduktion und Rondeau für die Violine bezeichnetes Werk; möglicherweise handelt es sich dabei um WoO II/04 mit der nachkomponierten Einleitung, aber noch ohne Änderung der Gattungszugehörigkeit; vgl. das gedruckte Programm dieses Konzerts im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, Signatur MT/1624/2002.

[2] Vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda und die Musik am Hof von Donaueschingen, 2 Bde., Hildesheim, Zürich, New York, 2005, Bd. 2, S. 223f.

[3] Ebd., S. 224.

[4] Gedruckter Programmzettel im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, Signatur: MT/250/2007; vgl. auch: Bert Hagels, Konzerte in Leipzig 1779/80 bis 1847/48, Berlin 2009, CD-ROM, S. 1035.

[5] „Leipzig, den 14. März 1840“, in: Allgemeine musikalische Zeitung XLII (1840), Sp. 241-243; hier Sp. 242.

[6] Vgl. Strauß-Németh, op. cit., Bd. 2, S. 38f.

[7] Vgl. Strauß-Németh, op. cit., Bd. 2, S. 222f.

[8] Vgl. Strauß-Németh, op. cit., Bd. 2, S. 146; zur Erörterung der Quellenlage, welche die hier vertretene These stützt, s. Bert Hagels, „Vorwort“, in: Johann Wenzel Kalliwoda, Concertino für Violine und Orchester Nr. 5 a-Moll op. 133, Berlin 2010, S. III-VIII; hier S.V-VI.

[9] Vgl. Bert Hagels, „Vorwort“, in: Johann Wenzel Kalliwoda, Sinfonie Nr. 2 Es-Dur op. 17, Partitur, Berlin 2010, S. III- XXVII, hier S. XVff.

[10] Angezeigt in: Musikalisch-literarischer Monatsbericht neuer Musikalien, musikalischer Schriften und Abbildungen für das Jahr 1844, Leipzig 1844, S. 162, 163; als Datenbank und Faksimile online verfügbar unter: http://www.hofmeister.rhul.ac.uk/2008/index.html. Weitere Anzeige: „Intelligenz-Blatt No. 7“ vom November 1844 der Neuen Zeitschrift für Musik, Bd. 21 (1844), ausgeliefert am 25. November 1844..

[11] Vgl. László Strauß-Németh, op. cit., Bd. 2, S. 43; Bert Hagels, „Vorwort“, in: Johann Wenzel Kalliwoda, Concertino für Violine und Orchester Nr. 1 E-Dur op. 15, Berlin 2010, S. IV, VI.

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