MUSICA OBLITA

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Concertino Nr. 1 für Violine und Orchester E-Dur op. 15

Wann genau Kalliwoda sein erstes im Druck erschienenes Concertino für Violine und Orchester komponierte, ist nicht bekannt. Die erste nachweisbare Aufführung (mutmaßlich die Uraufführung)[1] fand jedenfalls am 5. März 1829 im Gewandhaus zu Leipzig statt; Solist war der Komponist, der in diesem Konzert auch seine Polonaise für Violine und Orchester op. 8 spielte und die zweite Fassung seiner zweiten Sinfonie op. 17 erstmals zur Aufführung brachte.[2] Fünf Tage später, im nächsten Leipziger Abonnementkonzert am 10. März, brachte Kalliwoda darüber hinaus noch seine Variationen A-Dur op. 13 für Violine und Orchester zu Gehör. Bei beiden Konzerten war der junge Robert Schumann anwesend.[3] Der Rezensent der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung fand vor allem an der Sinfonie Gefallen, ohne jedoch die Qualitäten des Concertinos in Abrede stellen zu wollen:

Wir fanden nämlich das Concertino, die Polonaise und die Variationen K[alliwodas]s. recht nett und freundlich (die Variationen am wenigsten): doch scheint uns H[er]rn. K[alliwodas]s. Talent sich noch mehr dem Grösseren, am Meisten der Symphonie, zuzuneigen, was wir uns auch wohl zu erklären wissen. Das Concertino unsers lieben Fürstl.[ich]-Fürstenbergischen Kapellmeisters wird überall Beyfall finden, wo es mit dem singenden, vollreinen Tone und der angenehm leichten, nicht überkünstlichen Fertigkeit vorgetragen wird, mit welchen es der Componist selbst zu Gehör brachte.[4]

Der Philosoph und Kritiker Amadeus Wendt hob in der Berliner Allgemeinen musikalischen Zeitung Kalliwodas Leichtigkeit und Ungezwungenheit im Violinspiel hervor; auch er fand Gefallen an der Komposition des Concertinos:

Nachdem nun Fräulein [Henriette] Grabau die bekannte und beliebte Cavatine [„Oh patria“] aus Rossini’s „Tankred“ recht nett vorgetragen, trat Herr Callivoda [sic!] selbst auf und spielte ein von ihm gesetztes Konzertino für die Violine – ich sage mit Recht spielte, denn die Leichtigkeit, Rundung, höchste Reinheit und Anspruchlosigkeit, mit welcher der junge Mann vortrug, riss unwillkührlich alle Hörer zum Beifalle hin. Es schien gar nicht auf eine Kunstleistung abgesehen, und darum sprach der Vortrag des Künstlers weit leichter und entschiedener als die Anstrengungen prätentiöser Virtuosen an. Die Komposition war interessant und gefällig, der eingeflochtne Adagiosatz mit Gefühl erfunden und ausgeführt, alles in angenehmer Uebereinstimmung und im rechten Maasse. Eher hätte man noch länger zugehört.[5]

Kalliwodas Auftritte als Solist in den beiden Konzerten veranlasste den Rezensenten des ebenfalls in Leipzig erscheinenden feuilletonistischen Unterhaltungsblatts Zeitung für die elegante Welt zu einen Vergleich zwischen der Spielweise Kalliwodas und des kurz nach diesem (am 26. und am 30. März 1829) in Leipzig konzertierenden Violinvirtuosen Sigismund von Praun (1811-30). Diese verhältnismäßig ausführliche Kritik ist in ihrer Ambivalenz so aufschlussreich für die zeitgenössische Auffassung des Verhältnisses von Virtuose und aufzuführendem Werk, dass sie hier vollständig zitiert sei, zumal unter Kalliwodas „gehaltvollen Werke“ vor allem das Concertino zu rechnen sein dürfte:

Der Capellmeister Calliwoda [sic!] ließ sich mehrere Mal in unsern Abonnementconcerten hören, in denen er seine eigenen Compositionen wählte, um seine Stärke zu entfalten; der H[e]r[r]. S.[igismund] v.[on] P.[raun] veranstaltete [am 30. März] eine eigenes Concert im Theater, worin er die schwierigen Werke eines Mayseder (seines Lehrers), de Beriot und Benesch zum Besten gab, welche sich nicht sowohl durch innern Gehalt, als durch äußern Schimmer und aufgehäufte Schwierigkeiten für das Concertinstrument auszeichnen. – Offenbar muß man nach der Wahl der Tonstücke dem Letztern den Vorzug einräumen, in sofern es allerdings schwieriger ist, Werke anderer Meister vorzüglich zu geben, als eigene, worin nicht mehr aufgenommen ist, als was der Concertgeber in seiner Gewalt hat. Indessen, wenn man den höchst liebenswürdigen Calliwoda seine eigenen gehaltvollen Werke vortragen hört, so lässt er keinen Zweifel aufkommen, daß er nicht sollte allen andern Compositionen gewachsen seyn, und dies bestätigte sich auch zur Freude der Kunstkenner in Privatunterhaltungen zur Genüge. – Ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, z. B. des Staccato, des Flageolets, Arpeggio u. s. w., welche einer wie der andere mit der größten Leichtigkeit überwindet, würde der Unterschied zwischen Beiden noch dieser seyn: Calliwoda gebraucht sein Instrument, um mit dem Orchester der Seele des Hörers ein Ganzes zu schaffen; H[e]r[r]. v.[on] Praun, um sich allein einzuschmeicheln. Daß Beide ihren Zweck erreichen können, hat der Erfolg gelehrt, und obgleich aus dem angegebenen Grunde dem Kenner besonders der Erstere höher steht, so findet doch der Letztere nicht minder viele Freunde, da die Fassungskraft des Hörers allemal weniger angestrengt wird, wenn er nur einem Instrumente zu folgen nöthig hat. Der Beifall, den er erntete, war daher so allgemein wie der, den Calliwoda fand.[6]

Der Erstdruck des Concertinos erschien – zusammen mit dem der zweiten Sinfonie op. 17 – ein halbes Jahr nach der Aufführung im Gewandhaus im Frühherbst 1829.[7] Die Versionen für Orchester und für Pianoforte erschienen gleichzeitig, und auf dem Titelblatt ist die Gleichberechtigung beider Versionen ausdrücklich vermerkt („avec Accompagnement de l’Orchestre ou de Pianoforte“). Widmungsträger des Drucks ist der auf dem Titelblatt als „Ami“ bezeichnete Violinist Heinrich August Matthäi (1781-1835), der seit 1803 dem Gewandhausorchester Leipzig angehörte und von 1816 bis zu seinem Tod dessen „Anführer“ (etwa: Konzertmeister) war. Das Concertino erfreute sich schnell großer Beliebtheit; in Leipzig erklang es bereits am 28.07.1829 erneut in einem Konzert des Flötisten Friedrich Berkenbusch, interpretiert von einem Dilettanten namens Meyer.[8] Noch im Dezember 1829 erschien in der Allgemeinen musikalischen Zeitung eine Rezension des Stimmdrucks, in der das Werk positiv von anderen zeitgenössischen Beispielen virtuoser Violinmusik abgehoben wird. Kalliwoda wird geradezu als Gegenfigur zu Nicolò Paganini[9] aufgebaut, dessen Violinspiel mit dem „Zieren und Zerren“, dem „Sausen und Brausen der [...] tobenden Manier“ gemeint sein dürfte:

Eine sehr angenehme, lobenswerthe Tondichtung, die keineswegs darauf ausgeht, Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten zu häufen, sondern dem ersten Erfordernisse jeder guten Composition treu bleibt, frische, wirksame, d. i. der gedachten oder gefühlten Situation angemessene, oder vielmehr aus dem klaren Versetzen in einen bestimmten Gefühlszustand hervorgegangene Melodieen zu schaffen, und sie zugleich mit natürlich schlichten Harmonieenfolgen eben so anspruchslos, als kunstgerecht zu verbinden. Das modischen Zieren und Zerren melismatischer Figuren, das seltsame, karrikaturmässige Zusammenstopfen buntscheckiger Harmonieenwürfe, das von Manchem bis zur Lächerlichkeit begünstigt und für Originalität ausgegeben wird, sucht man hier umsonst. Alles schliesst sich eng u.[nd] natürlich an die gut gewählte Hauptmelodie, die es stets um so mehr ist, je lebendiger sie für sich selbst dasteht, und je ungezwungener sich neue, ihr verwandte Sätze daraus entwickeln, und in einen glücklichen Zusammenhang mit jener setzen, ohne dass dadurch die Aehnlichkeit derselben jene Gleichgültigkeit und Mattigkeit erzeugt, die überall folgen wird, wo blosse Umkehrungen und Versetzungen der Hauptmelodie Statt finden, die keine Spur eines eigenen selbstständigen Wesens bey aller Familienähnlichkeit an sich tragen. Frische Lebendigkeit, zierliche Nettigkeit, gefällige Natürlichkeit bey geschickter Vereinigung aller Einzelnheiten zu einem erfreulichen Ganzen sind also die Grundvorzüge dieser Composition. Das unheimliche Sausen und Brausen der jetzt nur zu bekannten tobenden Manier ist nicht darin zu finden.[10]

Mit Sicherheit ist Kalliwodas erstes Concertino für Violine in zeitgenössischen Konzerten häufiger erklungen; der Nachweis lässt sich indes kaum führen, weil die in Frage kommenden Werke in der Regel lediglich als „Concertino für Violine“ von Kalliwoda angekündigt werden und Kalliwoda ab 1832 weitere Concertini für Violine veröffentlichte. Um nur ein paar Daten zu nennen: In Leipzig etwa stand (abgesehen von den eindeutig zu identifizierenden Werken) am 28.09.1834, am 26.11.1834, am 19.02.1835 [als „Konzert“], 26.01.1837 sowie am 25.01.1841[11] ein Stück auf dem Programm, das das erste Concertino gewesen sein könnte. Ein weiteres Indiz für die Beliebtheit des Werkes kann in der Tatsache gesehen werden, dass noch 1851 in London die Version für Violine und Pianoforte nachgedruckt wurde.[12]
 

Bert Hagels

[1] Vgl. László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda und die Musik am Hof von Donaueschingen, 2 Bde., Hildesheim, Zürich, New York, 2005, Bd. 2, S. 43.

[2] Vgl. Bert Hagels, „Vorwort“, in: Johann Wenzel Kalliwoda, Sinfonie Nr. 2 Es-Dur op. 17, Partitur, Berlin 2010, S. III- XXVII, hier S. XVI.

[3] Vgl. Robert Schumann, Tagebücher, Bd. I, hrsg. von Georg Eismann, Basel-Frankfurt/Main 1971, S. 178f.; Schumann notiert lediglich die Programmpunkte der Konzerte, ohne seine Eindrücke wiederzugeben.

[4] „Leipzig“, in: Allgemeine musikalische Zeitung XXXI (1829), Sp. 200-201; hier Sp. 200.

[5] Amadeus Wendt, „Schluss der Berichte aus Leipzig“, in: Berliner Allgemeine Musikalische Zeitung  VI (1829), S.171-174; hier S. 171.

[6] „Musicalische Notiz aus Leipzig“, in: Zeitung für die elegante Welt 29 (1829), Sp. 551f.; als Verfasser zeichnet ein „C.F.B.....“, wohinter sich der Leipziger Pianist, Organist und Musikforscher Carl Ferdinand Becker (1804-77) verbergen könnte.

[7] Angezeigt für September/Oktober 1829 in: Musikalisch-literarischer Monatsbericht neuer Musikalien, musikalischer Schriften und Abbildungen für das Jahr 1829, Leipzig 1829, S. 70; als Datenbank und Faksimile online verfügbar unter: http://www.hofmeister.rhul.ac.uk/2008/index.html. Spätere Anzeige: „Intelligenz-Blatt“ der AmZ vom November 1829.

[8] „Leipzig, am 6ten August“, in: Allgemeine musikalische Zeitung XXXI (1829), Sp. 537-538.

[9] Paganini absolvierte im Jahr 1829 eine Deutschlandtournee, die zu einer heftig geführten kontroversen Debatte in den deutschsprachigen Feuilletons führte.

[10] „Concertino pour le Violon avec accompagnement de l’Orchestre ou de Pianoforte composé – par J. W. Kalliwoda. Op. 13 [sic!] [...]“, in: Allgemeine musikalische Zeitung XXXI (1829), Sp. 788-790; hier Sp. 788f. Von Strauß-Németh (op. cit., Bd. 2, S. 42) auf Grund der falschen Opus-Zahl in der Überschrift irrtümlich den Variationen op. 13 zugeordnet. Die Erwähnung der Tonart E-Dur sowie die Aufzählung der einzelnen Abschnitte des Werkes im weiteren Verlauf der Rezension lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass es sich bei der rezensierten Komposition um op. 15 handelt.

[11] Daten nach: Bert Hagels, Konzerte in Leipzig 1779/80 bis 1847/48, Berlin 2009, CD-ROM, passim.

[12] Strauß-Németh, op. cit., Bd. 2, S. 43.

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