MUSICA OBLITA

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum

Sinfonie Nr. 3 f-Moll o. op.

Der Erfolg seiner ersten beiden Sinfonien mochte Onslow bewogen haben, ihnen alsbald eine dritte Sinfonie folgen zu lassen.[1] In einem ohne Jahresangabe mit „8. April“ datierten Brief Onslows an Habeneck ist davon die Rede, eines seiner Streichquintette in großer Besetzung durch das Konservatoriumsorchester proben zu lassen[1]; anekdotisch ist überliefert, dass eine solche Probe tatsächlich stattgefunden hat. Der Musikkritiker Maurice Bourget berichtet anlässlich einer Aufführung der Sinfonie im März 1846 im Rückblick in romantisierender Ausschmückung:

Unter den zahlreichen bemerkenswerten Quintetten [...] gab es eins, das die Société des concerts in Streichorchesterbesetzung aufführen wollte. Der Komponist war während der Probe anwesend. Aber kaum hatte er den mächtigen Klang dieser Streichermassen vernommen, als ihm eine besondere Idee durch den Kopf ging. [...] Auf einmal stand das Quintett als Sinfonie vor seinem geistigen Auge. Diese plötzliche innere Vision einer neuen Komposition veranlasste ihn, um Aufschub zu bitten. Das Quintett wurde zurückgezogen und später ersetzt durch die Partitur, wie sie heute existiert.[2]

Niedergeschrieben wurde die Bearbeitung vermutlich in den Wintermonaten 1833/34, wie ein Brief Onslows an Joseph d’Ortigue vom 27. September 1833 nahelegt, in dem Onslow davon spricht, er habe die Arbeit daran zwar noch nicht materiell begonnen, aber sie sei in seinem Kopf bereits herangereift.[3] Onslow legte der Bearbeitung das Quintett f-Moll op. 32 (komponiert 1826[4]) zu Grunde, freilich unterzog er es „beträchtlichen Veränderungen“, wie das Titelblatt des Stimmdrucks ausdrücklich anmerkt („avec de notables changemens“). Das auf diese Weise entstandene Werk wurde als Sinfonie Nr. 3 f-Moll der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Uraufführung fand am 06. April 1834 durch das Konservatoriumsorchester unter Leitung von Habeneck statt. Die Kritik reagierte positiv; der Rezensent der Revue musicale de Paris verteidigte Onslow ausdrücklich gegen den Vorwurf, sklavischer Nachahmer älterer Vorbilder zu sein, ein Vorwurf, der Onslows Sinfonik immer wieder begegnete:

Inmitten der verschiedenen musikalischen Denkrichtungen hängen einige weiterhin trotz der Neuerungen des Reformators Beethoven dem Kult Haydns und Mozarts an. Herr Onslow gehört zu diesen letzteren [...]. [...] weit davon entfernt, ihn deshalb zu tadeln, beglückwünschen wir ihn vielmehr. [...] Denn daraus, dass man ihre Werke für große Vorbilder hält, folgt nicht notwendiger Weise, dass man ihnen auf Schritt und Tritt folgt und sich auf den Kreis, den sie durchmessen haben, beschränkt [...].“[5]

Sogar Hector Berlioz, der genialische Schöpfer der Symphonie fantastique, fand das Werk „brillant“, enthielt sich aber eines ausführlicheren Urteils [6] Schon im April 1835 erschien in Leipzig der Stimmdruck[7], der Klavierauszug folgte im Mai.[8] Am 05. März 1835 hatte die Leipziger Erstaufführung stattgefunden[9], in den nächsten Jahren folgten weitere Aufführungen in Utrecht, Paris und Kopenhagen[10], ohne dass Onslow jedoch mit diesem Werk an die Erfolge, die er mit seinen ersten beiden Sinfonien errungen hatte, anzuknüpfen vermochte. Ein Grund dafür mag in dem gesehen werden, was der damalige Herausgeber der in Leipzig erschienenden Allgemeinen musikalischen Zeitung, Gottfried Wilhelm Fink, folgendermaßen formuliert:

Können wir also die Bearbeitung an sich nur durchaus musterhaft nennen, so wird doch eben darum der zum Grunde liegende Originalsatz (Op. 32) auch überall durchklingen müssen u. bei aller Würde des Inhalts eine leichtere Art Symphonie bilden, als jene polyphonischer erfundenen unserer grössten Meister dieses Styls sind [...].“[11]

Für Verwirrung sorgt die in einigen Verzeichnissen verwendete Opus-Zahl 69; denn unter op. 69 wird das um 1848 erschienene Streichquartett Nr. 36 A-Dur geführt[12], offensichtlich gab es, begünstigt durch das Faktum, dass es sich bei dieser Sinfonie um die Bearbeitung eines älteren Werkes handelt, konkurrierende Zählungen.[13] Auf der Titelseite des Stimmdrucks indes befindet sich keine Opus-Zahl; und zum Zeitpunkt seines Erscheinens (1835) war Onslows OEuvre erst bis ungefähr Nummer 55 vorangeschritten. Es ist also anzunehmen, dass die Zählung der Sinfonie als op. 69 eine spätere, nicht auf Onslow zurückgehende Zutat ist.[14]

Bert Hagels

[1] Vgl. Boris Schwarz: Introduction, in: The Symphony 1720-1840, Series D-Volume IX, New York & London 1981, S. xlf. Schwarz vermutet, dass dieser Brief in das Jahr 1833 gehört.

[2]Parmi les quintetti nombreux et remarquable [...] en était un que la Société des concerts eut l’idée d’exécuter en multipliant le chiffre des interprètes. L’auteur assistait à la répétition. Mais à peine eut-il entendu l’imposante sonorité de cette masse d’instruments à cordes, qu’un phénomène extra s’accomplit dans son cerveau. [...] En un instant le quintette passa dans l’esprit de M. Onslow à l’état de symphonie. La vue intime ert rapide qu’il venait d’avoir d’une composition nouvelle le déterminait à demander un sursis. Le quintette fut retiré, et plus tard remplacé par la partition telle qu’elle existe aujourd’hui.“ Revue et gazette musicale, 15. März 1846, S. 81; hier zitiert nach Baudime Jam, George Onslow, Clermont-Ferrand 2003, S. 42; vgl. auch: Viviane Niaux, George Onslow: Gentleman Compositeur, Clermont-Ferrand 2003, S. 127. Übersetzung vom Verfasser.

[3]  „[...] ce travail n’est pas encore commencé matériellement ; mais il a mûri dans ma tête [...].“ Brief an Joseph d’Ortigue vom 27. September 1833, zitiert nach: Niaux, op. cit., S. 307.

[4] Vgl. Niaux, op. cit., S. 265.

[5]Au milieu des systèmes divergents, quelques fidèles restent encore attachés au culte d’Haydn et de Mozart malgré les innovations du réformateur Beethoven. M. Onslow est au nombre de ces derniers [...]. [...] loin de lui en faire le reproche, nous l’en féliciterons. [...] Toutefois, de ce qu’on les considère comme de grands modèles il ne s’ensuit pas nécessairement qu’il faille les suivre pas à pas et se renfermer dans le cercle qu’ils ont parcouru [...].“ Revue musicale de Paris, 13. April 1834; zitiert nach: Baudime Jam, op. cit., S. 135f. Übersetzung vom Verfasser.

[6] Vgl. Schwarz, op. cit., S. xli.

[7] Angezeigt im Intelligenzblatt der Allgemeinen musikalischen Zeitung [= AMZ] vom April 1835.

[8] Angezeigt im Intelligenzblatt der AMZ vom Mai 1835.

[9] Vgl. Alfred Dörffel, Statistik der Concerte im Saale des Gewandhauses zu Leipzig, Leipzig 1881, S. 49.

[10] Vgl. Schwarz, op. cit., S. xli.

[11] Gottfried Wilhelm Fink, [Rez.:] Troisième Sinfonie à grand Orchestre composée par George Onslow [...], in: AMZ XXXVII (1835), 524-525; Zitat: Sp. 525.

[12] Vgl. Christiana Nobach, Untersuchungen zu George Onslows Kammermusik, Kassel, Basel, London 1985, S. 280;

[13] Nobach führt das Werk auch konsequenterweise als „1. Symphonie f-moll“ unter op. 32; vgl. op. cit., S. 278.  Das Streichquintett op. 32 war bereits 1826 entstanden, also vor Onslows erster Sinfonie. Und für das Konservatoriumskonzert am 08. März 1846  wurde es angekündigt als „Première Symphonie en fa mineur“ (vgl. Schwarz, op. cit., S. xlii).

[14] Ich danke Herrn Baudime Jam (Clermont-Ferrand) für diesen Hinweis; vgl. auch Niaux, op. cit., S. 268.

Home        

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum