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Große Fest-Ouvertüre und Siegesmarsch op. 172 |
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Wann genau Ries seine Festouvertüre mit Siegesmarsch op. 172 komponiert hat, ist nicht mehr zweifelsfrei festzustellen. Ries' eigenhändiges Werkverzeichnis bricht nach Eintragung seines op. 169 ab[1], und auch in seiner Korrespondenz findet sich kein chronologisch vor der Uraufführung liegender Hinweis auf die Ouvertüre. Geschrieben wurde sie für das Niederrheinische Musikfest in Köln im Jahr 1832. Ries griff hier offensichtlich nicht, wie in anderen Fällen (etwa der Ouvertüre zu Don Carlos op. 94 für das Musikfest 1828), auf ein früher komponiertes Werk zurück, sondern scheint es eigens für das Musikfest in Köln komponiert zu haben. So hatte er es bereits mit seiner Ouvertüre zu Die Braut von Messina op. 162 gehalten, die für das Niederrheinische Musikfest 1830 bestimmt war und Ende 1829 entstand.[2] Man darf also vermuten, dass die Festouvertüre in den ersten Monaten des Jahres 1832 fertig gestellt wurde. Gestützt wird diese Vermutung durch die Tatsache, dass Ries auf dem Titelblatt der autographen Partitur neben dem Datum der Zweckbestimmung („Cöln 1832“) kein weiteres Datum (wie z.B. im Falle von op. 162, das bereits im vorher gehenden Jahr vollendet wurde) angegeben hat. Ihre erste Aufführung erlebte die Festouvertüre am zweiten Tag des Musikfestes in Köln, am 11. Juni 1832. Triumphierend berichtet Ferdinand Ries am 10. Juli aus Aachen seinem jüngeren Bruder Joseph in London:
Ries scheint den Erfolg der Uraufführung genossen zu haben, denn noch einen Monat nach dem Brief an Joseph (also zwei Monate nach der Aufführung) schrieb er an seinen jüngsten Bruder Hubert in Berlin:
Auch zeitgenössischen Berichten ist zu entnehmen, dass Ries’ Ouvertüre einen großen Eindruck hinterlassen haben muss. Die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung berichtet in knappen Worten über den zweiten Tag des Musikfestes:
Anders als für die meisten seiner späten Werke fand Ries auch relativ rasch einen Verlag, der bereit war, das Werk herauszubringen und für es zu werben. Im „Intelligenzblatt No. XI.“ vom September 1832 der Allgemeinen musikalischen Zeitung veröffentlichte Schott in Mainz eine großformatige „Subscriptions-Anzeige für die Grosse Fest-Ouverture und Sieges-Marsch für grosses Orchester von Ferdinand Ries. Op. 172.“ mit dem Wortlaut:
Der Verlag ließ der Ankündigung auch bald Taten folgen; im Heft vom März/April 1833 der Hofmeisterschen Monatsberichte musikalischer Neuerscheinungen zeigt Schott das Erscheinen des Stimmdrucks an, im April folgt der Klavierauszug zu vier Händen, im November/Dezember ein Arrangement für Militärmusik von Joseph Küffner.[7] Ob es zu der in der oben zitierten Anzeige angekündigten Ausgabe für Klavier zu zwei Händen und zu den auf dem Titelblatt des Stimmdrucks angekündigten Bearbeitungen für Flötenquartett und für Streichquartett gekommen ist, ist nicht bekannt; nachweisbar ist lediglich ein Arrangement des Siegesmarsches für Klavier solo, dessen Erscheinen von Schott im September/Oktober 1837 angezeigt wird.[8] Im Oktober 1833 veröffentlichte die Allgemeine musikalische Zeitung eine Rezension von Stimmdruck und vierhändigem Klavierauszug. Darin zeigt sich der Verfasser irritiert über Ries’ eigenwillige Formgebung, kann dem Werk aber eine gewisse Anerkennung nicht versagen:
Mit dreijähriger Verspätung erschien in Schotts hauseigener Musikzeitschrift, der Caecilia, eine sehr ausführliche Rezension[10], in welcher der Verfasser, der Würzburger Professor und Universitätsmusikdirektor Joseph Fröhlich (1780-1862), „dieses schöne Gebilde des mit Recht so hochgeschätzten Verfassers“ einer umfänglichen philosophisch-historischen Betrachtung unterzieht, ausgehend von der in den 1830er Jahren immer noch aktuellen These romantischer Musikphilosophie, gelungene Musikstücke seien „objective Ausdrücke des menschlich-göttlichen Geistes, Symbole des Absoluten“, der freilich dank den „zufälligen Modificationen des Zeitalter“ zum „Zeitgeist“[11] werde. Das Verhältnis von Absolutem und Zeitgeist näher zu bestimmen, sei Aufgabe der Kritik; als drittes Kriterium komme die „besondere Bestimmung“ hinzu, die bei dem Werk von Ries bereits im Titel ausgesprochen sei.[12] Dieser Zweckbestimmung genüge das Werk vollkommen, indem „das Ganze den Grundton männlichen Jubels, würdig heiterer Stimmung, welcher, auf die mannigfaltigste Weise entfaltet, die Hörer mit jener Grundstimmung erfüllt, welche zur würdigen Vorbereitung der Feier führt und zum Auffassen der vorzutragenden Kunstwerke befähiget [...].“[13] Über die Zweckbestimmung hinaus erfülle die Ouvertüre aber auch jene Anforderungen, welche ihre zeitliche Stellung an sie richtet. Diese sei nach zwei Richtungen hin zu beurteilen: einmal gemäß ihrer Stellung im Verlauf der Musikgeschichte, und zum zweiten nach ihrer Fähigkeit den unmittelbaren Zeitgeist auszudrücken. Beides sei Ries gelungen: Einerseits suche er „Effecte mit Massen“, das Werk habe eine „sehr starke Besezzung mit durchdringenden Instrumenten“, die „zu neuen Wirkungen auf eine eigenthümliche Weise“[14] benutzt würden; andrerseits habe Ries diese effektiven Mittel nicht „der äusseren Wirkung wegen“ verwendet, sondern „es ward kunstmässig gestaltet“, „es dient, um den Grundcharacter des Ganzen, sowie die Hauptidee mit Wahrheit, Schönheit, und im reichsten Leben zu entwickeln.“ Als Beleg dient Fröhlich die Tatsache, dass „der feierlich würdige Character des Siegesmarsches schon in dem Allegro con brio eingeführt“ wird; die allmähliche Steigerung der „Gemüthsstimmung bis an’s Ende zum grössten Jubel, zum vollsten Entströmen“, sei Ries trefflich gelungen. Doch nicht nur dem „Gemüthlichen“, auch dem „Geistigen“ widerfahre volles Recht: „Ein Grundgedanke herrscht durch das Ganze Tonstück. Sinnig wird er vorbereitet, genial eingeführt, geistvoll löset er sich bald in kleinere Glieder auf, bald verbindet er sich mit interessanten Ideen.“[15] Daraus resultiere „die grosse und sichere Wirkung, welche das Werk erzeugen muss, wenn es richtig ergriffen und mit Geist und Leben ausgeführt wird.“ Das Werk sei jedem „Musikdirektor“ als „feierliche Einleitung [...] vorzüglich zu großen Festen“ zu empfehlen. Zusammenfassend hält Fröhlich fest, das Werk entspreche ebenso vollkommen seiner „Bestimmung“, wie es „der Forderung der Zeit und Kunst“ genüge. An ihm könnten angehende Komponisten lernen, „wie man seiner Zeit genüget, und denn doch über dieser stehet.“[16] So Unrecht hatte Fröhlich vorderhand mit seiner Einschätzung nicht, denn die Festouvertüre avancierte in der Folge zu einem recht häufig gespielten Zugstück bei den Musikfesten im deutschsprachigen Raum. Am 11. Oktober 1833 erklang sie im Rahmen des Musikfestes in Mühlhausen/Thüringen: „sie wurde mit vieler Präcision aufgeführt und gefiel allgemein.“[17] In Straßburg, wo Anfang April 1836 ein Musikfest zur „Säcular-Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst“ stattfand, hatte man offensichtlich Schwierigkeiten mit den von Ries verlangten Orchestermassen: „Auch diese Ouverture ging [...] vortrefflich; leider musste der Mangel an guten ersten Trompeten durch andere Hülfsmittel ersetzt u. die ersten Stimmen durch Hoboen, Clarinetten u.s.w. geblasen werden [...].“[18] In Straßburg scheint es zu einer regelrechten Aufführungstradition der Ouvertüre gekommen zu sein: Am 14. September 1839 erklang sie erneut anlässlich eines Wohltätigkeitskonzertes im Theater[19], sowie ein drittes Mal – wiederum im Straßburger Theater – am 19. April 1846.[20] Auch die von dem Würzburger Militärmusiker Joseph Küffner (1756-1856) verfasste Bearbeitung der Ouvertüre für Militärmusik ist nachweislich aufgeführt worden: so während der Festlichkeiten anlässlich der Enthüllung des Gutenberg-Denkmals in Mainz Mitte August 1837[21] und zur ebendort stattgehabten Jubiläumsfeier zur Erfindung des Buchdrucks im Juni 1840.[22] Im Konzertsaal machte das Werk indes nach zeitgenössischer Einschätzung weniger Eindruck als im Rahmen der großen Musikfeste: In Leipzig, wo das Werk im November 1833 durch den Musikverein „Euterpe“ zur Aufführung kam, hielt man es nur für „bizarr“[23]. Als das Werk als Eröffnungsstück in einem Virtuosenkonzert am 21. Dezember 1835 in Dresden erklang, hieß es in einer Besprechung: „Gewaltiger Aufwand von Mitteln und wenig Wirkung. Dem bekannten, verdienten Meister schien sein Werk nicht mit gehöriger Klarheit vorgeschwebt zu haben, ehe er es niederschrieb.“[24] Anlässlich einer Aufführung in Berlin im Februar 1837 wurde das Problem beim Namen genannt: „Eine Festouverture von Ferd. Ries wurde für diese Versammlungen zu geräuschvoll und auf Effect berechnet gefunden.“[25] In London, Ries’ einstiger Wahlheimat, erklang das Werk am 5. Mai 1834 im Rahmen der Konzerte der Philharmonic Society. Eine englische Kritik, die in deutscher Übersetzung in der von Robert Schumann herausgegebenen Neuen Zeitschrift für Musik erschien, hebt die Schwierigkeiten mit der Rezeption durch den ersten Höreindruck hervor (wobei unklar ist, ob es in London überhaupt eine Gelegenheit zum zweimaligen oder gar dreimaligen Hören gegeben hat):
Sollte man nun der Meinung sein, der Rezensent habe die nach mehrmaligem Hören einsetzende, immanent musikalische Verständlichkeit angesprochen, so sieht man sich durch den Fortgang der Rezension getäuscht; der Verfasser bietet nun eine hermeneutische Interpretation an, bei welcher der Leser freilich nicht ganz sicher sein kann, wie ernst es ihm damit ist, wenn als hypothetisches Sujet unter Anspielung auf Ben Jonsons Komödie Bartholemew Fair von 1614 die Feierlichkeit unterstellt wird, mit welcher der Londoner Bürgermeister alljährlich den altehrwürdigen, gleichnamigen Londoner Jahrmarkt eröffnet. Die rezensentische Digression ist von solch kunstvoller Ironie, dass sie hier vollständig wiedergegeben werden soll:
In Paris hingegen scheint die Ouvertüre besonderes Gefallen gefunden zu haben. Als Ries sich im November 1836 in der französischen Hauptstadt aufhielt, schrieb er seinem Bruder Joseph freudig überrascht nach London:
An einen Freund in Frankfurt schrieb er am 30. Dezember Ähnliches:
Eines der beiden von Ries erwähnten Konzerte - organisiert durch die „Athénée musicale“ - fand am 24.11.1836 statt.[30] Weitere Aufführungen sind für den Winter 1834/35 in Nürnberg („Concerte im Museum“ unter „Köhler“)[31] sowie für den 25. Juni 1841 in Potsdam anlässlich des Stiftungstages der dortigen Philharmonischen Gesellschaft nachweisbar.[32] Eine weitere Produktion des Werks, die in den ersten Monaten des Jahres 1836 in Mannheim statt gefunden haben muss, wird von Ries in einem Brief an Anton Schindler erwähnt.[33]Bert Hagels |
[1] Die Kompositionsdaten aus Ferdinand Ries’ eigenhändigem Werkverzeichnis sind veröffentlicht in: Cecil Hill, Ferdinand Ries. A Study and Addenda, Occasional Paper No. 2, Department of Music, University of New England 1982, S. 60-65.
[2] Vgl. „Vorwort“, in: Ferdinand Ries, Ouvertüre zu ‚Die Braut von Messina’ op. 162, hrsg. von Bert Hagels, Berlin 2008, S. I.
[3] Ferdinand Ries an Joseph Ries, 10.07.1832, zitiert nach: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, bearbeitet von Cecil Hill, Bonn 1982, S. 555.
[4] Ferdinand Ries an Hubert Ries, 11.08.1832, zitiert nach: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, a.a.O., S. 562.
[5] „Viertes Rheinisches Musikfest zu Cöln am 10ten und 11ten Juny dieses Jahres“, in: Allgemeine musikalische Zeitung [im Folgenden: AmZ] 34 (1832), Sp. 552-553; hier Sp. 552. Mit der „Jubel-Cantate“ ist die Jubel-Kantate zum Regierungsjubiläum des sächsischen Königs Friedrich August JV 244 von Carl Maria von Weber gemeint.
[6] Veröffentlicht in „Intelligenz-Blatt zur allgemeinen musikalischen Zeitung“ No. XI, S. 46f., ausgeliefert mit AmZ 34 (1832), No. 39 vom 26.09.1832. Die gleiche Anzeige auch in der bei Schott erscheinenden Zeitschrift Caecilia 14 (1832), Beilage S. 75-76.
[7] Angaben nach: Projekt „Hofmeister XIX“ [Stand: 16.03.2013].
[8] Vgl. auch: Cecil Hill: Ferdinand Ries. A Thematic Catalogue, Armidale/Australia 1977, S. 178f.
[9] „[Rezension:] Grande Ouverture et Marche triomphale pour grand Orchestre composée [...] par Ferd. Ries [...]“, in. AmZ 35 (1833), Sp. 685-686. Eine kurze Anzeige der Bearbeitung für Militärmusik in: AmZ 36 (1834), Sp. 132.
[10] Joseph Fröhlich, „[Rezension:] Grosse Fest-Ouvertüre und Siegesmarsch, für grosses Orchester; komponirt für das Niederrheinische Musikfest in Köln 1832, von Ferdinand Ries“, in: Caecilia 17 (1835), S. 192-199.
[11] Fröhlich, op. cit., S. 192.
[12] Fröhlich, op. cit., S. 193.
[13] Fröhlich, op. cit., S. 194.
[14] Fröhlich, op. cit., S. 196.
[15] Fröhlich, op. cit., S. 197f.; Hervorhebung original.
[16] Fröhlich, op. cit., S. 198.
[17] „Musikfest zu Mühlhausen in Thüringen, am 10ten, 11ten und 12ten October“, in: AmZ 35 (1833), Sp. 733-738, hier Sp. 736.
[18] „Musikfest. Strassburg“, in: AmZ 38 (1836), Sp. 708-712, hier Sp. 711.
[19] „Strassburg“, in: AmZ 41 (1839), Sp. 725-726; hier Sp. 726.
[20] „Strassburg“, in: AmZ 48 (1846), Sp. 723-726, hier p. 725.
[21] Vgl. M.G. Friedrich [i.e. Friedrich Melchior Gredy], „Das Fest der Inauguration des Gutenberg-Monumentes in Mainz, am 14., 15. und 16. August 1837“, in: Caecilia 19 (1837), S. 242-251, hier S. 250, Fußnote.
[22] Jakob Peth, Geschichte des Theaters und der Musik zu Mainz. Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte, allen Freunden der deutschen Bühne gewidmet, Mainz 1879, S. 222.
[23] „Leipzig, am 30sten November“, in: AmZ 35 (1833), Sp. 831-838; hier: Sp. 837.
[24] Carl Borromäus von Miltitz, „Dresden, am 21. Dec. 1835“, in: AmZ 38 (1836), Sp. 116-119; hier Sp. 116.
[25] „Berlin, den 7. März 1837“, in: AmZ 39 (1837), Sp. 193-196, hier Sp. 193.
[26] „Englische Musikkritik (Aus dem Spectator.)“, in: Neue Zeitschrift für Musik 1 (1834), S. 99-100; hier S. 99.
[27] Op. cit., S. 99.
[28] Ries an Joseph Ries, 15.11.1836, zitiert nach: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, a.a.O., S. 735. Hervorhebung original.
[29] Ries an Jacob Schuster, 30.12.1836, zitiert nach: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, a.a.O., S. 740.
[30] Anmerkung 3 zum Brief vom 15.11.1836, in: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, a.a.O., S. 736.
[31] C. M.: „Nürnberg, Juli, 1835“, in: AmZ 37 (1835), Sp. 650-653, hier Sp. 652.
[32] „Potsdam, den 16. Oktober“, in: AmZ 43 (1841), Sp. 878-880, hier Sp. 879.
[33] Ries an Anton Schnidler, 04.05.1836, in: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, a.a.O., S. 717.
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