MUSICA OBLITA

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Septett für Pianoforte, Klarinette, zwei Hörner, Violine, Violoncello und Kontrabass op. 25

Ferdinand Ries liebte es, mit verschiedenen Formen groß besetzter Klavierkammermusik zu experimentieren. Dazu gehören etwa das Klavierquintett op. 74 und die Klaviersextette op. 100 und WoO 76, alle drei – neben dem Klavier – ausschließlich Streicher vorschreibend; vor allem aber Kompositionen für Klavier mit gemischter Bläser- und Streicherbesetzung in unterschiedlichsten Kombinationen. Für diese variable Beset­zungsform komponierte Ries je ein Sextett (op. 142), Septett (op. 25) und Oktett (op. 128). 

Das Septett Es-Dur op. 25 ist das früheste Werk dieser Reihe; Ries komponierte es im Jahr 1808 in  Paris. Doch nicht nur in individueller werkbiographischer, sondern auch in gattungsgeschichtlicher Perspektive beschreitet Ries mit seinem op. 25 Neuland; denn es ist das erste einer Reihe von ähnlich besetzten Klavierseptetten, dem im Laufe des 19. Jahrhunderts Kompositionen von Friedrich Kalbrenner (op. 14, 1815; op. 132, 1835), Johann Nepomuk Hummel (op. 74, ca. 1816; Septet militair op. 114, 1818), Ignaz Moscheles (op. 88, 1832) und Alexander Ernst Fesca (op. 26 und op. 28; beide um 1842) folgten. Lediglich ein „Notturno“ genanntes Werk in Septettbesetzung (F-Dur op. 8, 1808) des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen war dem Werk von Ries voraus gegangen.[1]

Ries’ „Grand Septuor“ (so der Titel des Drucks) erschien im Jahr 1812 in der Firma von Nikolaus Simrock, einem mit der Familie Ries befreundeten Bonner Verleger, in der Originalversion und in einer Quintett-Fassung für Klavier und Streichquartett. Wie häufig bei Werken von Ries wurde das Septett alsbald von Pariser Verlegern nachgedruckt[2], was auf eine gewisse Beliebtheit des Werkes beim zeitgenössischen Publikum schließen lässt. Ries selbst stellte im Abstand von zweieinhalb Jahrzehnten in einem Brief an seinen Bruder Joseph beiläufig fest, dass sein op. 25 „dazumal in Deutschland sehr häufig gespielt wurde“.[3] 

In der veröffentlichten Meinung wurde es zwiespältig aufgenommen. In einer für die zeitgenössische Beurteilung von Riesschen Kompositionen insgesamt charakteristischen Mischung von Anerkennung der kompositorischen Fähigkeiten und Tadel mangelnder Originalität. 

Eine Rezension der Quintett-Fassung in der angesehenen Allgemeinen musikalischen Zeitung aus dem Jahr 1813 konstatiert, das Werk werde „vielen geübten Spielern eine sehr vortheil­hafte Uebung und eine wahrhaft angenehme, belebte und würdige Unterhaltung gewähren“; gleichwohl seien „die Ideen selbst [...] nicht oft wahrhaft originell, und viele erinnern [...] näher, als eigentlich zulässig, an bestimmte Vorbilder“. Insgesamt aber, so resümiert der Verfasser, gewähre es „mehr Genuss und auch mehr Vortheil, als gar manches, das mit mehr Originalität, aber unbeholfen, roh, gesetzwidrig, und doch anspruchsvoll, daher lärmt und stolpert.[4]

Anlage und Ausdehnung des Werkes legen nahe, dass Ries mit seinem Septett sehr ambitionierte Ziele verfolgte. Die Spieldauer von über einer halben Stunde und die viersätzige Anlage verweisen auf die Symphonie und die klassischen Gattungen der Kammermusik, Streichquartett und Klaviertrio. Der erste Satz (Adagio molto/Allegro molto con brio) jedoch ist trotz seiner Länge gewissermaßen gegen die Gattungsnorm eines großen Allegro-Kopfsatzes (mit ihrer traditionell dreiklangsbetonten, energisch auftretenden Thematik) komponiert. Die 16 Takte umfassende langsame Einleitung folgt zwar noch konventionellen Mustern mit ihrem in der Grundtonart Es-Dur kadenzierenden Beginn (wobei allerdings der Eintritt der Subdominante in plötzlichem piano auf schwacher Taktzeit nach Vorhalt in Takt 2 einen schönen Überraschungseffekt darstellt) und den Kaskaden von verminderten Septakkorden über dem Dominantton B im Bass an ihrem Ende. Der folgende Allegro-Teil des Kopfsatzes beginnt aber völlig ungewöhnlich mit einem lyrisch-sanglichen Thema in kleinen Intervallschritten, das erst vom Klavier vorgestellt und dann in der Violine wiederholt wird. Dieses Hauptthema enthält alle wesentlichen motivischen Elemente des Satzes: Einen Dreiachtel-Auftakt in verschiedenen melodischen Modifikationen (als chromatische Einleitungsfigur und als vorwärts treibende Wechselnote); einen absteigenden Achtellauf, eine volltaktig einsetzende Vorhaltsbildung und eine punktierte Drehfigur. Das in der Dominanttonart stehende Seitenthema wird aus dem chromatischen Dreiachtelauftakt und dem Vorhalt gebildet, und die Überleitungsmotive verwenden die auftaktige Wechselnote sowie eine schlichte Tonwiederholung. Das Motiv der Schlussgruppe schließlich besteht aus dem (nun allerdings aufsteigenden) Achtellauf und der punktierten Drehfigur. Die Durchführung verwendet lediglich die neu kombinierten Motive aus Überleitung und Schlussgruppe in zunehmender kontrapunktischer Verdichtung; sie mündet in einen zwölftaktigen Orgelpunkt auf dem Dominantton B im Bass, und nach einem chromatischen Lauf im Klavier setzt die Reprise ein, die das thematische Material der Exposition unverändert wiederbringt, wobei der Bereich des Seitenthemas regelgerecht in die Grundtonart versetzt wird.

Hinsichtlich des zweiten Satzes, einer Marcia funebre in c-Moll, stellt der schon zitierte zeitgenössische Rezensent fest, dass Ries „grösstentheils der Beethovensche aus der heroischen Symphonie“ vorgeschwebt haben mag; doch ist daran zu erinnern, dass der Trauermarsch einen zeitgenössischen Topos darstellt, der modellhaft in François-Joseph Gossecs Marche lugubre von 1793 ausgebildet worden war, und schon vor Beethoven als langsamer Satz in zyklisch-mehrsätzigen Werken Verwendung fand, etwa in Anton Eberls vor Beethovens Eroica fertig gestellter Symphonie Es-Dur op. 33. Ries selbst kam im langsamen Satz seiner 1809 komponierten 1. Symphonie auf den Typus zurück. Jedoch ist kaum zu leugnen, dass der Trauermarsch in Ries’ Septett sich nicht nur in der Tonart, sondern auch in Themenbildung (punktierter auftaktiger Beginn, Betonung der kleinen Terz als melodischer Spitzenton im Anfangsmotiv) und Formgebung (aufgelockerter Mittelteil in C-Dur) stärker am Trauermarsch der Eroica orientiert, als dies bei vergleichbaren Sätzen der Fall ist. Von großer Eindringlichkeit ist die ausgedehnte Coda, die fast ein Viertel des Satzes einnimmt, und in der eine leise Reminiszenz an den helleren Mittelteil im Horn zu sphärischen Klängen in der zwei- bis dreigestrichenen Oktave im Klavier mit Bruchstücken des Hauptthemenkopfes kombiniert werden.

Das mit knapp 500 gespielten Takten ungewöhnlich ausgedehnte Scherzo (Allegro vivace) ist beherrscht vom Kontrast eines instrumententypischen Hornmotivs, das wie ein Motto den Satz ohne Begleitung andrer Instrumente einleitet, und motorischer perpetuum mobile-Bewegung im Klavier, die im Trio des Scherzos beibehalten wird, nun aber zu einer synkopischen Begleitfläche in den Streichern erklingt.

Das Finale ist ein mit Elementen der Sonatenform kombiniertes Rondo, das trotz der Tempovorschrift Allegro idyllische und pastorale Züge trägt, die in den zumeist in Moll stehenden Couplets durch elegische und stellenweise dramatische Züge bereichert werden. Eine zyklische Verbindung zum Scherzo stellt Ries dadurch her, dass er dessen Hornklänge zu Beginn der Coda des Finales in modifizierter Form wiederholt.

Bert Hagels

[1] Daten nach: Hartmut Schick, Art. „Septett“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, hrsg. von Ludwig Finscher, Sachteil, Bd. 8, Kassel/Stuttgart 1998, Sp. 1250-1254; hier: Sp. 1252.

[2] Vgl. Cecil Hill, Ferdinand Ries. A Thematic Catalogue, Armidale Australia 1977, S. 22.

[3] Brief an Joseph Ries in London, 16.01.1836; Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, bearbeitet von Cecil Hill, Bonn 1982, S. 700-704; hier S. 701.

[4] [Rez.:] Grand Quintuor p. le Pianoforte, 2 Violons, Viole et Violoncelle, comp. - - par Ferd. Ries. Oeuvr. 25 [...], in: Allgemeine musikalische Zeitung XV (1813), Sp. 788-790.

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