MUSICA OBLITA

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum

Zurück zum Verzeichnis

Fantasie-Sonate L’Infortuné für Pianoforte fis-Moll op. 26

Op. 26 ist im Erstdruck als „Grande Sonate Fantaisie“ betitelt und folgt damit – zumindest dem Titel nach - dem Vorbild des von Beethoven in seinem op. 27 etablierten Typus der „Sonata quasi una fantasia“. Doch die Anlage der Sätze erinnert in ihrer großdimensionierten Zweisätzigkeit eher an Beethovens Waldstein-Sonate: Der Kopfsatz ist ein nur leicht modifizierter Sonatensatz und der Andante-Mittelsatz ist zu einer unselbständigen Introduktion zum ausgedehnten Finalsatz umfunktioniert worden. Im Kopfsatz entfaltet Ries all die Techniken, die er bei Beethoven gelernt hat, er eignet sie sich aber in individueller Art an: Es gibt, wie in der Pathétique, eine langsame Einleitung, die an den formalen Gelenkstellen des Satzes wiederkehrt; aber diese Einleitung prägt keinen pathetischen Gestus mit schwer punktiertem Rhythmus im fortissimo aus, sie ist zurückhaltend nachdenklich, eine chromatisch aufwärts strebende Melodielinie zu gequält repetierten verminderten Septakkorden; es gibt, ebenfalls wie in der Pathétique, ein Hauptthema, das sich über nervösem tremolando in der Begleitung entwickelt, aber dieses vorwärts drängende Hauptthema wird bereits nach sechs Takten durch einen resignativ in sich zusammenfallenden Nachsatz relativiert; es gibt, wie in der Appassionata, zwischen rechter und  linker Hand synkopisch versetzte Akkordballungen im fortissimo und Kaskaden von herabstürzenden Akkordbrechungen sowie den Verzicht auf die Expositionswiederholung; doch weder synkopierte Akkorde noch Akkordbrechungen werden je thematisch, sie haben reine Überleitungsfunktion; es gibt, wie in der Waldstein-Sonate, ein gegenüber dem vorhergehenden Impetus nahezu statisch wirkendes Seitenthema, aber bei Ries ist diese Statik durch eine orgelpunktartige, pulsierende Achtelrepetition aufgebrochen. 

Neu in formaler Hinsicht ist der tastende, mehrmals harmonisch in die Irre führende Einsatz der Reprise des Hauptthemas, zweimal unterbrochen durch Fragmente der langsamen Einleitung, vielleicht ein Symbol für das ziellose Umherirren eines Unglücklichen, des Infortuné, der im Titel der Sonate angesprochen wird, und als den sich Ries gegen Ende seiner Pariser Zeit selbst portraitiert haben mag. 

Die folgende Andante-Einleitung zum Finale (D-Dur, 3/8-Takt) ist ein zwar kurzer, aber nahezu vollständiger Satz in Bogenform (A-B-A’), dessen Mittelteil in quälenden harmonischen Gängen zu melodischen Einwürfen im Tritonus-Abstand erneut die Verwirrung und Desorientierung eines Infortuné evozieren. Der abschließende Teil (A’) ist verkürzt und führt harmonisch öffnend zur Dominante des Schlusssatzes, Cis-Dur. 

Dieser, formal ein breit ausgeführter Sonatensatz (Presto, fis-Moll, Allabreve-Takt), überrascht durch ein elegant-melancholisches Hauptthema, dessen sanft perlende Triolenbegleitung auf spätere die Klangvorstellungen späterer Virtuosen-Komponisten vorausweist, und durch eine ausgedehnte Durchführung, in deren Verlauf zuerst das simple Seitenthema und dann das erwähnte Hauptthema in dramatischen Spannungsverläufen sukzessive in bloße Akkorde zerlegt werden. Nach einer die Exposition nahezu unverändert wiederholenden Reprise (lediglich die Überleitung ist um 22 Takte gekürzt) wird der Satz mit einer Coda beschlossen, in der die anfangs das Hauptthema unauffällig grundierenden Triolen zu grandioser Emphase gesteigert werden.

Bert Hagels

Home        

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum