MUSICA OBLITA

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Trio für Pianoforte, Klarinette (oder Violine) und Violoncello [Nr. 2] g-Moll/B-Dur op. 28

In Anbetracht der Vorbildfunktion Beethovens verwundert es nicht, dass Ries sich in seinem ersten Trio mit einem solistischen Holzblasinstrument, das im Jahr 1810 während eines Aufenthaltes in Aachen entstand, äußerlich an das Muster seines Lehrers hält: Wie Beethoven im Trio op. 11 (1798) besetzt Ries sein Klarinettentrio op. 28 mit Violoncello und Klavier (Mozart hatte im 'Kegelstatt'-Trio KV 498 statt des Cellos eine Viola verlangt). 

Damit enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten, denn das Werk von Ries ist in jeder Hinsicht originell. Die Satzfolge erweitert er durch ein Scherzo an zweiter Stelle zur Viersätzigkeit, eine Disposition, die in der Kammermusik zumeist den ‚klassischen’ Gattungen Streichquartett und Klaviertrio vorbehalten war. Ries legt der Gattung damit demonstrativ ein Gewicht bei, das sie bei Beethoven, dessen Klarinettentrio wegen der Verwendung einer populären Opernmelodie als Variationsthema im Finale den Beinamen ‚Gassenhauer’-Trio erhalten hat, nicht aufweist. 

Aber nicht nur die Satzdisposition des Gesamtwerkes, sondern auch Aufbau und Faktur der einzelnen Sätze demonstrieren eine Experimentierfreudigkeit, wie sie in kammermusikalischen Werken der unmittelbaren Beethoven-Nachfolge sonst kaum anzutreffen ist. Das beginnt bereits mit der Unklarheit der Grundtonart zu Beginn des ersten Satzes, die einen ungewöhnlichen Umgang mit den harmonischen Konventionen des Sonatensatzes nach sich zieht: Eingeleitet von sanft pulsierenden Akkorden im Klavier in g-Moll erklingt zuerst in der Klarinette, dann im Duett von Klarinette und Cello eine Wechselnoten-Figur, welche die Tonart g-Moll erst bestätigt, dann aber überraschend in der parallelen Tonart B-Dur kadenziert; nun folgt ein in zweitaktigen Einheiten exponiertes Thema, das – ebenfalls in B-Dur stehend – mit einer zeittypischen Spielfigur beginnt, aber durch einen charakteristischen Sextvorhalt einen eigentümlich lyrischen Einschlag aufweist und mit einem virtuosen Lauf in der Klarinette zu seiner Wiederholung überleitet; dieses Thema erweist sich im weiteren Verlauf des Satzes als Hauptthema; als Grundtonart ist also B-Dur kenntlich geworden. Das wird in der Folge jedoch wieder in Frage gestellt: Die Überleitung zum  Seitenthema scheint – unter vielfältiger Verwendung des charakteristischen Sextvorhalts – harmonisch in sich zu kreisen, indem die Tonart des Hauptthemas durch dessen Dominante F-Dur bestätigt wird; ein kräftiger Halbschluss im forte kündigt den Eintritt des Seitenthemas an, das der Konvention entsprechend in der Dominante F-Dur stehen müsste; doch die Zäsurwirkung des Halbschlusses wird unterbunden durch eine retardierende chromatisch-absteigende Linie in der Klarinette, die – durch die Wiederaufnahme der pulsierenden Akkorde im Klavier begleitet – überraschend zur Anfangstonart g-Moll zurückführt; in dieser Tonart steht dann auch das elegisch in kleinen Intervallen fortschreitende Seitenthema. 

Auch die ausgedehnte, ein virtuoses Wechselspiel zwischen den drei Instrumenten entfaltende Schlussgruppe bestätigt die Tonart g-Moll. Nach einer sehr knappen (33 gegenüber 84 Takten der Exposition), thematisch äußerst konzentrierten Durchführung, in deren Verlauf der Hauptthemenkopf fast kontinuierlich präsent ist, bestätigt erst der Verlauf der Reprise, dass nicht g-Moll, sondern B-Dur die Haupttonart des Satzes ist, indem das Seitenthema ins hellere Licht der Dur-Tonart getaucht wird, und nur seine episodische Wiederholung in b-Moll eine Reminiszenz an den ursprünglich elegischen Charakter heraufbeschwört; eine kurze Coda, die den Beginn der Durchführung zitiert und von den pulsierenden Achteln des Satzbeginns eingeleitet wird, bekräftigt die Grundtonart endgültig. 

Dieses Spiel mit den Ambivalenzen der Vorzeichnung ist deshalb so faszinierend, weil es die Konventionen der Sonatensatzform zwar nicht in Frage stellt, aber Erwartungshaltungen aufbaut, die auf originelle Weise in unerwartete Bahnen gelenkt werden.

Ein ähnliches Spiel mit den Erwartungshaltungen des zeitgenössischen Hörers treibt der zweite Satz, Scherzo. Allegro vivace, B-Dur; nun sind es aber die rhythmischen Möglichkeiten, die der geschwind ausgeführte Dreivierteltakt bietet, die Ries zu ständig neuen Kombinationen führt. Dabei sind die Grundelemente denkbar einfach: die vorantreibende Wirkung eines durch drei Viertel ausgefüllten Taktes und die stauende Wirkung einer taktausfüllenden punktierten halben Note. Obwohl der Hauptteil des Scherzos klar in viertaktige Einheiten gegliedert ist, die sich zuweilen zu korrespondierenden achttaktigen Perioden fügen, stellt sich der Eindruck einer abrundenden Periode erst am Schluss der beiden zu wiederholenden Teile ein; im zweiten Teil wird der Themenkopf mit der markanten Wechselnote kontrapunktisch in Engführungen verarbeitet, und der Satz erreicht eine thematische Dichte wie die Durchführung des ersten Satzes. Das Scherzo-Trio in Es-Dur bildet dazu insofern einen Kontrast, als es ganz auf die Entfaltung klanglicher Gegensätze abzielt: Zu liegenden Sextparallelen im Cello erklingt eine gleichmäßig motorische Achtelbewegung im Klavier, die durch überraschende Einwürfe der Klarinette in höchster Lage und gegen das Metrum gesetzte fortissimo-Akkorde im Klavier unterbrochen wird.

Der langsame Satz, Adagio, F-Dur, 3/4-Takt, dient – erneut rein äußerlich dem Vorbild von Beethoven in dessen Klaviersonate op. 53, der ‚Waldsteinsonate’ (1804), folgend – gleichzeitig als ausgedehnte Einleitung zum Finalsatz, indem er dessen Anfang harmonisch durch die Dominante vorbereitet und ohne Pause (attacca) in ihn übergeht; im Unterschied zu Beethovens Satz fehlt jedoch die Überschrift „Introduzione“; das hat seinen plausiblen Grund darin, dass der Satz von Ries ein Ausmaß an thematischer Eigenständigkeit aufweist, das einer bloßen Introduktion nicht zustände: einer verzierungsreichen, harmonisch durch den unvermittelten Wechsel von F-Dur nach A-Dur und d-Moll abwechslungsreich gestalteten Melodie, die erst vom Klavier vorgestellt und dann im Cello wiederholt wird, folgt nach einer viertaktigen passagenartigen Überleitung im Klavier eine in Quartsprüngen und Seufzern voranschreitende Gesangslinie in der Klarinette.

Das Anfangsthema des Finalsatzes, Rondo. Allegro ma non troppo, 4/4-Takt, in der nunmehr unerschütterlichen Grundtonart B-Dur, gibt sich volkstümlich, wie ein gemächlicher Marsch oder geradtaktiger Tanz; formal gesehen ist der Satz kein reines Rondo, indem er Elemente des Sonatensatzes aufnimmt: Das erste Couplet in der Dominanttonart F-Dur, motivisch bestimmt durch ein leichtfüßige scherzando-Figur im Klavier und eine melodische Linie in der Klarinette, fungiert gleichzeitig als Seitenthema, das im zweiten Teil des Satzes, in die Grundtonart versetzt, wiederholt wird; und das zweite Couplet weist mit seinen dramatischen Zügen, plötzlichen Modulationen und überraschenden dynamischen Kontrasten Züge einer Durchführung auf.

Leider sind keine zeitgenössischen Rezensionen oder Konzertberichte überliefert; die Tatsache aber, dass es nach dem Erstdruck des Werkes im Jahr 1811 (im Verlag des mit Ries befreundeten Bonner Verlegers Simrock) eine Reihe von Nachdrucken gab, lässt darauf schließen, dass sich das Trio großer Beliebtheit beim Publikum erfreute. Ein zeitgenössischer Kritiker hätte vielleicht gesagt: Das Werk ist voller überraschender Einfälle und origineller Wendungen, ohne doch bizarr zu erscheinen oder das Ohr zu verletzen.

Bert Hagels

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