MUSICA OBLITA

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Sonate für Pianoforte und Klarinette (oder Violine) g-Moll op. 29

Bereits ein Jahr vor dem Klarinettentrio op. 28 entstand 1809 in Bonn die Klarinettensonate op. 29, übrigens eine der frühesten Originalkompositionen für die Besetzung Klarinette und Klavier, der lediglich zwei 1801-03 erschienene Sonaten des in Wien lebenden tschechischen Komponisten Johann Baptist Vanhal (1739-1813) voraus gegangen waren, und der im Verlauf des 19. Jahrhunderts so gewichtige Werke wie Mendelssohns Sonate Es-Dur (1824), Schumanns Phantasiestücke op. 73 (1849) und Brahms’ zwei Sonaten op. 120 (1894) folgen sollten. Die höhere opus-Zahl der Sonate resultiert aus der in der damaligen Zeit häufig anzutreffenden Praxis, die Werke gemäß der Reihenfolge ihres Erscheinens im Druck und nicht nach ihrer Entstehungszeit zu nummerieren. 

Die Sonate erschien 1812 (wie damals üblich, gleichzeitig mit einer Alternativfassung für Violine und Klavier), ein Jahr nach dem Trio op. 28, wie dieses im Bonner Verlag Simrock. Einige Pariser Verleger veranstalteten Nachdrucke. 

In seiner Sonate zeigt sich Ries nicht minder ambitioniert als in dem Trio; wie in diesem problematisiert er Konventionen der Sonatenform, ohne sie zu durchbrechen, doch äußert sich diese Experimentierfreude auf andere Weise: Der Kopfsatz beginnt mit einer 13 Takte umfassenden, langsamen Einleitung, die motivisch vom Gegensatz punktierter fortissimo-Akkorde im Klavier und gleichmäßig repetierter Achtel im pianissimo in der Klarinette zehrt; klanglich setzt Ries den Klavier-Akkorden in tiefer Lage hohe Töne in der Klarinette entgegen, bevor sich Klavier und Klarinette im halbtaktigen Wechsel in einer Art Zwiegespräch verlieren. Harmonisch umkreist die Einleitung zwar die Grundtonart g-Moll, aber an ihrem Ende steht keineswegs, wie üblich, die dominantische Vorbereitung des schnellen Teils in der Grundtonart, sondern der Übergang vom langsamen zum schnellen Abschnitt erweist sich als Bestandteil einer großdimensionierten Kadenz, die erst im vierten Takt des Allegros mit dem Erscheinen der Grundtonart g-Moll zum Abschluss kommt. Doch auch hier wird sie nur kurz berührt und weicht dominantischen Spannungsbögen, in denen Klavier und Klarinette sich einander in kurzen Motiven abwechseln; dieser Prozess wird kurz durch eine Fermate unterbrochen, nach der nun endlich ein Hauptthema in der Grundtonart zu erwarten wäre; doch erneut wird das Wechselspiel weiter getrieben, bis Klarinette und Klavier sich zu einer imitatorisch gefassten Kadenzwendung vereinen. Für acht Takte wird nun die Grundtonart beibehalten, ohne dass es zu einer ausgesprochenen Themenbildung kommt. Danach beginnt bereits die harmonische Überleitung zum regulär in der parallelen Durtonart stehenden Seitenthema, die vorwiegend aus 16tel-Passagen im Wechsel der beiden Instrumente besteht. 

Im gesamten Bereich des Hauptsatzes kommt es also nicht zur Bildung eines geschlossenen Themas, dafür werden eine Vielzahl kurzer und prägnanter Motive exponiert, die – zusammen mit der offenen Harmonik - dem Satz etwas unabgeschlossen Vorwärtsdrängendes verleihen. Das harmonisch und motivisch in sich geschlossene Seitenthema prägt trotz dolce-Vorschrift eher einen hymnischen als einen lyrischen Charakter aus und bietet nur einen kurzen Ruhepunkt, weil der Beginn der Schlussgruppe den vorwärtsdrängenden Zug des Hauptsatzbereiches wieder aufnimmt, bevor sie unter Verwendung des punktierten Akkordmotivs vom Beginn des Satzes und von reichlichem Passagenwerk unmerklich zur Expositionswiederholung überleitet. 

Ries hat mit einer solchen Satzgestaltung erkennbar Einflüsse der Sonatenkonzeption des mittleren Beethoven – zu nennen wären etwa die ‚Appassionata’-Sonate (1805) oder auch die Fünfte Sinfonie (1808) -  verarbeitet, jedoch nicht ohne eigene Akzente zu setzen, z.B. in der Gestaltung des Seitenthemas oder der Fülle der Motive im Hauptsatzbereich.

Der zweite Satz, Adagio con moto, Es-Dur, 3/4-Takt, folgt einer modifizierten dreiteiligen Bogenform, dessen A-Teil ein feierliches Hauptthema im Klavier, das von der Klarinette wiederholt wird, und ein in der Dominanttonart B-Dur stehendes lyrisches Seitenthema in der Klarinette zu sanft wogender Triolenbegleitung entfaltet. Der durch seine Molltonart kontrastierende Mittelteil ist unthematisch, er besteht lediglich aus im Taktabstand modulierenden Akkordwiederholungen im Klavier und Akkordbrechungen in regelmäßigen Achteln in der Klarinette, wobei Ries reizvoll mit den Klangfarben experimentiert, indem er die Klarinette unter den Klavierpart legt. Die Wiederholung des A-Teils ist um das lyrische Seitenthema verkürzt und lässt derart Raum für eine, wie der Klarinettist Dieter Klöcker herausgefunden hat, in zeitgenössischen Abschriften „Fantasia“ betitelte langsame Einleitung zum Finalsatz, die dem Solisten Gelegenheit zu zwei improvisierten Instrumentalkadenzen gibt, und die an den formalen Gelenkstellen des Finales modifiziert wiederkehrt. Dieses prägt – über die Einschübe der „Fantasia“ hinaus - eine sehr eigenwillige Formgebung aus: Dem in seiner Molltonalität leicht melancholisch wirkenden Anfangsthema folgt nach einer von virtuosen Klavierpassagen gebildeten Überleitung ein Seitenthema voll ausgelassener Spielfreude in der parallelen Tonart B-Dur, und nach einem Mittelteil in As-Dur werden beide Themen spiegelverkehrt wiederholt, also zuerst das spritzige Durthema, jetzt in G-Dur, und dann das von der „Fantasia“ unterbrochene Anfangsthema. Eine Coda im Prestissimo schließt Satz und Werk effektvoll ab.

Bert Hagels

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