MUSICA OBLITA

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Quintett für Klavier, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass h-Moll op. 74 

Das Quintett für Klavier, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass h-Moll op. 74 entstand Anfang 1815, wurde 1817 in London publiziert und umgehend in Leipzig und Paris nachgedruckt; es ist Erzherzog Rudolph von Österreich, Beethoven-Schüler wie Ries, und später Bischof von Olmütz, gewidmet, und zeigt so, dass Ries die Verbindung nach Wien und dessen herrschaftlichen Kreisen nicht vernachlässigen wollte. Vergleicht man die Satztechnik mit der des etwa vier Jahre später entstandenen „Forellen“-Quintetts von Schubert, so fällt auf, dass Ries den Klavierpart vergleichsweise virtuos gestaltet, während den Streicherstimmen vornehmlich kantable oder Tutti-Stellen zugedacht sind; möglicherweise hat Ries die Klavierstimme für den eigenen Gebrauch geschrieben, und bei der Gestaltung der Streicherstimmen an Dilettanten aus dem Londoner Bürgertum gedacht.

Dem Allegro-Teil des ersten Satzes geht eine Grave-Einleitung voran, die weniger thematisches Material präsentiert, sondern vielmehr das harmonische Umfeld der Grundtonart h-Moll spannungsreich ausleuchtet; allenfalls ein mit einem punktierten Auftakt versehenes Drehmotiv, das in dreimaliger Quintsequenz den harmonischen Raum der Grundtonart auf engstem Raum zusammenfasst, antizipiert andeutungsweise Motive, die in Haupt- und Seitenthema des Allegro con brio wiederkehren: die auftaktige Punktierung wird im zweiten Teil des Hauptthemas übernommen, und die Drehfigur erscheint im Vordersatz des Seitenthemas. Seine formale Ambivalenz rückt diesen Satz – bei grundsätzlich dem klassischen Muster verhafteter Harmonik und Melodik - in die Nähe der Versuche des späten Schubert oder des frühen Schumann, die Sonatenform durch die Aufweichung der Trennung der Formteile zu modifizieren; so wird etwa nicht nur die Exposition nicht wiederholt, sondern ihre Grenze zur Durchführung wird im Nachhinein dadurch verschleiert, dass am Ende der Exposition nach kräftiger kadenzieller Bestätigung der Seitensatztonart D-Dur eine unerwartete Ausweichung in den tonalen Bereich des neapolitanischen Vorhaltes Es-Dur erfolgt, der als Beginn der Durchführung interpretiert werden kann; der Verlauf der Reprise belehrt jedoch eines Besseren, denn dort wird dieser Abschnitt regelgerecht eine kleine Terz nach unten transponiert, aber ansonsonsten wörtlich wiederholt, so dass er als Schlussteil der Reprise erscheint. Zudem wird im Verlauf der Durchführung ein gänzlich neues, kantables Thema in der Tonart des Seitensatzes, D-Dur, eingeführt, das in der Folge – unterbrochen durch die scharf (doppelt) punktierten Einleitungsakkorde - durchführungsartig mit Modulationen bis nach as-Moll verarbeitet wird. Der Reprise schließt sich eine Più-Allegro-Coda an, die diese Einleitungsgeste zu einer Kette von verminderten Septakkorden schärft und spannungssteigernd zwischen Klavier und Streichern engführt, bevor sie unter Bestätigung der Grundtonart h-Moll den Satz beschließt. 

Der zweite Satz, ein Larghetto in E-Dur im 2/4-Takt von nur 55 Takten, trägt mit seinem attacca-Übergang zum Rondo-Finale den Charakter eines Intermezzos; dennoch weist er eine nur durch die dominantische Überleitung zum Finale und die Kürzung der Reprise relativierte geschlossene dreiteilige Liedform auf, deren Mittelteil mit sich beschleunigenden Modulationen von C-Dur über Es-Dur nach f-Moll und Des-Dur durchführungsartigen Charakter trägt. Eine achttaktige, fortwährend die Dominante des folgenden Satzes bestätigende Überleitung, die mit einer kurzen Kadenz des Klaviers endet, bereitet den Einsatz des Finale vor, eines Rondo. Allegro im 2/4-Takt in H-Dur. 

Diesem Satz wurde von der zeitgenössischen Kritik in jeder Hinsicht der Vorzug vor den ersten beiden gegeben; in einer Rezension der Allgemeinen Musikalischen Zeitung steht im Dezember 1817 über ihn zu lesen: „Dieser letzte Satz, wie er in der Erfindung und Anordnung der originellste von allen dreyen ist, ist auch im Ausdruck der eigenthümlichste und bey weitem der wirksamste.“ 

Dieses Rondo weist – wie fast alle Riesschen Finalrondi – auch Elemente der Sonatenform auf: so ist das erste Couplet in der dominantischen Tonart fis-Moll nach einer unvermittelt nach h-Moll ausweichenden Tutti-Überleitung auch als Seitenthema zu interpretieren, und nach einer thematisch unspezifischen, die Dur-Dominante Fis befestigenden Schlussgruppe folgt zwar wiederum das Rondothema vollständig; seine Fortführung zum spannungsträchtigen Moll-Tutti wird aber unvermittelt durch eine plötzliche Rückung zur neapolitanischen Tonart G-Dur abgebrochen und weicht einem kurzen Durchführungsabschnitt, der an seinem Ende die Tonart des zweiten Couplets, a-Moll, vorbereitet. Dieses zweite Couplet bringt einen wirksamen Stimmungswechsel; das Tempo wird zum Andantino verlangsamt, das Metrum wechselt zum 6/8-Takt, und ein vom Vorhergehenden völlig unabhängiges Thema im wiegenden Siciliano-Duktus verleiht diesem Abschnitt eine elegische Note. Diesem schließt sich nach Rückkehr zu 2/4-Takt und Grundtonart erneut das Rondo-Thema an, dem nach Art der Sonatenreprise nach verkürzter Überleitung das nach h-Moll transponierte Seitenthema und die erwähnte thematisch unspezifische Schlussgruppe in H-Dur folgt.

Bert Hagels

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