MUSICA OBLITA

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Sinfonie Nr. 2 c-Moll op. 80

Die zweite Sinfonie von Ferdinand Ries entstand in den ersten Monaten des Jahres 1814 in London, dem Ort, in dem der Beethoven-Schüler nach langen Jahren der Wanderschaft und der vergeblichen Versuche, sich als Komponist und Pianist zu etablieren, endlich den lang ersehnten Erfolg hatte. Am 14. Februar war in einem Konzert der Londoner Philharmonic Society seine 1813 komponierte Sinfonie in d-Moll (die 1823 als Sinfonie Nr. 5 op. 112 veröffentlicht wurde) mit beträchtlichem Erfolg uraufgeführt worden; dies dürfte Ries angespornt haben, der Londoner Öffentlichkeit sofort ein weiteres sinfonisches Werk zu präsentieren.[ 1

Die Sinfonie Nr. 2 c-Moll op. 80 wurde dem Publikum schon zwei Monate später, am 18. April 1814, in einem weiteren Konzert der Philharmonic Society vorgestellt; einen Verlag für das Werk fand Ries vorerst jedoch nicht. Wie er sich gegenüber dem Leipziger Verleger Carl Friedrich Peters im April 1816 äußerte, waren in London Sinfonien nur im Arrangement zu verkaufen.[ 2

Aber auch Peters nahm das Werk nicht; es wurde erst 1818 von dem mit der Familie Ries seit langem befreundeten Verleger Nicolaus Simrock in Bonn veröffentlicht; im gleichen Verlag erschien gleichzeitig ein von Ries selbst angefertigter Klavierauszug zu 4 Händen[ 3 ]; ein Jahr später erschienen auch in London Klavierauszüge.[ 4

Im deutschsprachigen Raum wurde das Werk Ries' erfolgreichste Sinfonie. Die Leipziger Erstaufführung am 21. 10. 1819 war so erfolgreich, dass das Werk zwei Wochen später erneut aufgeführt werden musste; der Rezensent der in Leipzig erscheinenden Allgemeinen musikalischen Zeitung benannte die Gründe für die enthusiastische Aufnahme:

[...] sie ist ein Werk voller Geist und Leben, im ächten Styl der Gattung, wohin nämlich diese jetzt gewendet und erhoben ist; in diesem Styl eigenthümlich erfunden, gründlich ausgearbeitet, vortrefflich instrumentirt, und sonach gleich interessant für Kenner und Nichtkenner. Das Andante und das Scherzando scheinen uns die vollendetsten Sätze. Einige Erinnerungen, besonders im ersten Satze, an Beethovens Symphonien, namentlich an die eroica, mögen dem Componisten nicht zu hoch angerechnet werden.[ 5 ]

Der Leipziger Korrespondent einer in Wien erscheinenden Musikzeitschrift, der musikbegeisterte Philosophieprofessor Amadeus Wendt, sah sich durch das Erlebnis der Leipziger Erstaufführung sogar zu einer ausführlichen Apologie der Beethoven-Anklänge herausgefordert, eine Maßnahme, deren Notwendigkeit im Zeitalter von Genieästhetik und Originalitätspostulat durchaus plausibel erscheint:

Sie beginnt mit einem wirkungsreichen Allegro 3/4, das in Anlage, Charakter, ja selbst in einzelnen Rhythmen und Modulationen an Beethovens Sinfonia eroica erinnert, ohne dass man es doch eine solche Nachahmung nennen könnte, durch welche der geniale Componist seinen freyen Flug beschränkt hätte, denn freyer Schwung und feurige Kraft bewegt sich in diesem Satze, und kein aufmerksamer Zuhörer, der Beethovens geniales nicht kennte, würde diesem Satze einen, aus dem Geiste frey hervorquellenden Gedanken-Zusammenhang absprechen können. Daher ich mir die Entstehung dieses Satzes, wie vieler anderer herrlicher Werke, aus einer unwillkührlichen Vertiefung des Meisters, in die, durch kräftiges Einwirken eines andern Meisterwerkes erregte Stimmung, erklären möchte, vermöge dessen das Neugeschaffene gleichsam der Nachklang dieser Stimmung in einem schöpferischen Geiste ist. Hier und dort wird ein gewaltiger, wahrhaft heroischer Kampf zu einer grossen und herrlichen Harmonie ausgeglichen.[ 6 ]

In Leipzig wurde das Werk bis in die 1830er Jahre hinein regelmäßig aufgeführt.[ 7 ] Ries widmete es Beethoven, der 1816 bei Ries angefragt hatte, ob dieser ihm nicht ein Werk dedizieren wolle. Im Jahr 1819 bat Ries den ihm wie Beethoven befreundeten Franz Gerhard Wegeler in Bonn, Beethoven in Wien ein Exemplar des diesem zugeeigneten Werkes zukommen zu lassen; das scheint indes nicht geschehen zu sein; denn noch Anfang 1823 beklagt sich Beethoven bei Ries, dass er immer noch kein Widmungsexemplar erhalten habe.[ 8 ] Ob Beethoven das Werk jemals zu Gesicht bekam, ist also zweifelhaft. Sollte Ries Scheu empfunden haben, sein Werk den strengen Augen Beethovens vorzulegen? Immerhin zog gerade diese Sinfonie mehr als alle anderen seiner Werke in zeitgenössischen Rezensionen den Vorwurf auf sich, in einzelnen Passagen stark an die Eroica zu erinnern.[ 9 ] Beethoven selbst soll sich zwar einerseits über Ries' Klavierspiel und Kompositionen sehr anerkennend geäußert haben[ 10 ], andrerseits wird auch der Ausspruch überliefert, Ries "ahmt mich zu sehr nach."[ 11 ]

Bert Hagels

[ 1 ]Vgl. Cecil Hill: Ferdinand Ries: Three symphonies, New York & London 1982, S. XX.
[ 2 ]Vgl. Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, bearbeitet von Cecil Hill, Bonn 1982, S. 107.
[ 3 ]Beide Drucke sind angezeigt im Intelligenzblatt der Allgemeinen musikalischen Zeitung [= AMZ] vom Dezember 1818.
[ 4 ]Vgl. Cecil Hill: Ferdinand Ries. A Thematic Catalogue, Armidale/Australia 1977, S. 75.
[ 5 ]Musik in Leipzig, in: AMZ XXII (1820), Sp. 41-47; Zitat Sp. 42.
[ 6 ]Musikalische Berichte aus Leipzig, in: Allgemeine Musikalische Zeitung mit besonderer Rücksicht auf den Österreichischen Kaiserstaat IV (1820) Sp. 59-62; 73-76, 86-88; 92-96; 100f.; Zitat Sp. 73.
[ 7 ]Vgl. Alfred Dörffel, Statistik der Concerte im Saale des Gewandhauses zu Leipzig, Leipzig 1881, S. 55.
[ 8 ]Vgl. die Briefe von Beethoven an Ries vom 08. 05. 1816 (Ferdinand Ries, op. cit., S. 108f.), 06. 07. 1822 (op. cit., S. 163), vom 05. 02. 1823 (op. cit., S. 167) und den Brief von Ries an Wegeler vom 10. 08. 1819 (op. cit., S. 142).
[ 9 ]Siehe oben, und: [Rez.:] Sinfonie à grand Orchestre, comp. - - par Ferd. Ries. No. 2[…], in: AMZ XXIII (1821), Sp. 214-216, hier Sp. 215.
[ 10 ]So der Sohn des gemeinsamen Freundes Nicolaus Simrock, Peter, der Beethoven 1816 in Wien besuchte; vgl. Friedrich Kerst (Hrsg.): Die Erinnerungen an Beethoven, 2 Bde., 2Stuttgart 1925; Bd. 1, S. 205.
[ 11 ]Freilich muss diese angebliche Äußerung Beethovens mit Vorsicht aufgenommen werden; denn überliefert ist sie durch Carl Czerny, der zu Ries in einem gewissen Konkurrenzverhältnis stand, was den Anspruch betraf, einziger Schüler Beethovens zu sein; vgl. Friedrich Kerst, op. cit., Bd. 1, S. 56.

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