MUSICA OBLITA

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Ouverture bardique [concertante] WoO 24

Ursprünglich gedachte Ferdinand Ries das vorliegende Werk als Ouverture concertante zu bezeichnen; so jedenfalls lautet der Titel in der autographen Partitur, der einzigen vollständigen Quelle für den Notentext. Der Titel spielt darauf an, dass die in der Partitur vorgeschriebenen beiden Harfen nicht nur als Orchesterstimmen Verwendung finden, sondern als Soloinstrumente mit gelegentlich konzertant hervortretenden Passagen. 

Jedoch hat Ries das 1815 fertig gestellte Werk schon für die Uraufführung am 25. Februar 1816 in Ouverture bardique umbenannt[1], ein Titel, den er auch in seiner Korrespondenz beibehielt, wenn von dem Werk die Rede war.[2] Offenbar war die Umbenennung endgültig. Sie hängt zweifellos damit zusammen, dass Ries das walisische Volkslied Ar Hyd y Nos (in englischer Übersetzung bekannt als All through the night) nicht nur vollständig in den Harfenstimmen zitiert, sondern aus der Umkehrung von dessen Anfangsmotiv eine für die Themenbildung des Werkes wichtige Variante gewinnt. Ries dürfte auf den Bekanntheitsgrad des Liedes in London spekuliert haben, und das nicht ohne Grund, denn bereits John Gay verwendete die Melodie in der Beggar’s Opera von 1728. Als walisisches Lied erstmals veröffentlicht wurde sie 1784 von Edward Jones (1752-1824) in dessen Sammelwerk The Musical and Poetical Relicks of the Welsh Bards. In der Zeit als Ries seine Ouvertüre komponierte, galt die Melodie also als Hinterlassenschaft keltischer Barden, und Ries machte sich diese Tatsache zu Nutze, um bereits im Titel auf den durch die Verwendung des Liedes evozierten besonderen Tonfall der Ouvertüre aufmerksam zu machen.

Ries komponierte das Werk eigens für die Konzerte der Londoner Philharmonic Society, zu deren Mitglied er im Mai 1815 nach mehreren Anläufen gewählt worden war. Seine Spekulation auf die Bekanntheit des Liedes erwies sich als triftig, die Ouvertüre wurde innerhalb kürzester Zeit zu einem Londoner Favoritstück, wie Ries zwei Monate nach der Uraufführung brieflich dem Leipziger Verleger Carl Friedrich Peters bei Gelegenheit einer Aufzählung seiner neu komponierten Werke mitteilt:

Overture bardique a grand Orchestre avec 6 Harpes obligés 30 / die 6 Harfen haben aber nur zwey verschiedene Parthien zu spielen und machen mit dem ganzen Orchestre einen ganz neuen, und ich kann wohl sagen, einen schönen Effekt. Sie wird hier am 25tn dieses [= April], zum viertenmal seit dem halben Februar  für die Armen im großen Theater gegeben. Ein altes Schottisches [recte: walisisches] Bardisches National Lied, welches besonders für die Harfen Solo einfällt, gefällt unserm John Bull außerordentlich.[3]

Die Zahlenangabe „30“ bezieht sich auf den Preis von 30 Guineen oder (französische) Louis d’or, den Ries vom Verleger für den Fall einer Inverlagnahme verlangt. Peters nahm das Werk aber ebenso wenig wie der Londoner Verleger Thomas Boosey, dem Ries das Werk siebeneinhalb Jahre später, am 14. August 1823, für den herabgesetzten Preis von 25 Guineen anbot.[4] 

Das Werk blieb unveröffentlicht, und ob es nach der Londoner Blütezeit vom Frühjahr 1816 noch zu weiteren Aufführungen gekommen ist, bleibt ungewiss. Als im Juni 1820 eine mögliches Aufführung der Ouvertüre für ein Konzert der Philharmonic Society als Ersatzstück ins Gespräch kam für den Fall, dass ein angekündigter Solist ausfallen sollte, protestierte Ries in scharfer Form: Er wolle seine Werke lieber gar nicht hören als unter solchen Bedingungen.[5]

Die Ouvertüre gehörte jedenfalls zu den Werken, für die Ries das Eigentumsrecht zurück erhielt, als er 1824 seine Rückkehr ins Rheinland vorbereitete; gleichzeitig übergab er dem Bibliothekar der Philharmonic Society, James Calkin, einen handschriftlich verfassten Stimmsatz,[6] der offenbar nicht erhalten geblieben ist.

Bert Hagels

[1] Vgl. Cyril Ehrlich, First Philharmonic. A History of the Royal Philharmonic Society, Oxford 1995, Appendix 2, S. 249.

[2] Vgl. Cecil Hill: Ferdinand Ries. A Thematic Catalogue, Armidale/Australia 1977, S. 205.

[3] Ries an Carl Friedrich Peters, 22.04.1816; zitiert nach: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, bearbeitet von Cecil Hill, Bonn 1982, S. 106; John Bull ist eine Personifizierung der englischen Nation.

[4] Vgl. Ries’ Brief an Thomas Boosey, 14.08.1823, in: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, a.a.O., S. 183.

[5] „[...] I rather would not hear it at all, as on such terms.“ Ries an William Watts, 13.06.1820, zitiert nach: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, a.a.O., S. 152.

[6] Vgl. Ries’ Brief an William Watts, 08.7.1824, in: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, a.a.O., S. 192f.

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