MUSICA OBLITA

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Dramatische Ouvertüre „L’Apparition“ WoO 61

Ferdinand Ries' letztes Orchesterwerk, die Ouverture dramatique „L’Apparition“ WoO 61[1], entstand Ende Oktober bis Anfang November 1836 in Paris. Mitte Oktober 1836 hielt sich Ries noch in London auf, aber am 15. November schreibt er seinem Bruder Joseph einen Brief aus Paris, dem zu entnehmen ist, dass er sich zum Zeitpunkt des Schreibens bereits einige Zeit in der französischen Hauptstadt aufgehalten hat. Ries berichtet seinem Bruder, dass er Giacomo Meyerbeer, François-Antoine Habeneck, Jacques Fromental Halévy und George Onslow getroffen habe, die ihn freundlich empfangen hätten und viele seiner Werke kennten; danach kommt er auf seine neuesten Werke zu sprechen:

Ich arbeite tüchtig, bin jeden Morgen um 6 oder 6 1/2 an meinem Schreibtisch – habe eine neue Overture und 8 Nummern zu meinen [sic!] neuen Oratorium geschrieben, das ist alle Scham werth [...].“[2]

Bei dem erwähnten Oratorium handelt es sich um Die Könige in Israel op. 186, ein Werk, das Ries bis weit in das Jahr 1837 hinein beschäftigte, und das während des Niederrheinischen Musikfestes in Aachen vom gleichen Jahr uraufgeführt wurde. Mit der Ouvertüre ist die Ouvertüre „L’Apparition“ gemeint, die also Mitte November 1836 bereits fertig vorlag. Die autographe Partitur ist mit „1836 à Paris“ datiert, demzufolge wird man annehmen dürfen, dass Ries mit der Niederschrift des Werkes erst in Paris begann; und da er Mitte Oktober noch in London weilte, ist als Entstehungszeit die zweite Oktoberhälfte und die ersten zwei November-Wochen anzunehmen. 

Im Dezember 1836 und im Januar 1837 hielt sich Ries wieder in London auf und scheint erfolgreich für eine Aufführung seiner neuen Ouvertüre im Rahmen der Konzerte der Philharmonic Society geworben zu haben; denn die erste nachweisbare Aufführung fand am 13. März 1837 im zweiten Konzert der Saison statt.[3] Auf dem Programmzettel war zwar lediglich vermerkt, dass es sich um die „erste Aufführung in diesem Land[4] handele; doch es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass die Ouvertüre in diesem Konzert uraufgeführt wurde. 

Der Titel „L’Apparition“ (die Erscheinung) gab Anlass zu Missverständnissen. Ries hatte bei der Komposition offensichtlich kein konkretes literarisches oder der bildenden Kunst entstammendes Sujet vor Augen gehabt, sondern beabsichtigte, das Spektrum der sprachlichen Metapher von der „Erscheinung“ musikalisch auszuloten. Der Kritiker William Ayrton, ehemals einer von Ries’ Mitdirektoren bei der Philharmonic Society und Herausgeber diverser Musikzeitschriften, fand die musikalische Umsetzung nicht adäquat; er schrieb über das Werk in The Musical World:

Nach zweimaligem Hören müssen wir mit Widerstreben gestehen, dass uns die Ouvertüre von Herrn Ries enttäuscht: ihr im Konzertprogramm angekündigter Titel ist der Behandlung des Gegenstands nicht angemessen. Sicherlich ist das eine Frage des Empfindens; nichtsdestotrotz verlangt er eine gewisse Gelassenheit, auch den Ausdruck von Unbestimmtheit und Mysterium, der einem phantasiebegabten Komponisten gewiss zu Gebote gestanden hätte. Der bedeutende Beethoven-Schüler war hier, so meinen wir, nicht glücklich.[5]

Ries hat diese Kritik offenbar getroffen. Gegen seine Gewohnheit geht er in einem Brief an seinen Bruder Joseph darauf ein und bittet ihn, dem gemeinsamen Bekannten George Smart mitzuteilen, „Ayrton müsse mich missverstanden haben, ich habe Apparition als einen Geist gewollt – ich war den Abend bey der Probe, besonders nach der Aufführung sehr angegriffen und habe mich viel[l]eicht schlecht ausgedrückt.[6]

Ob es zu weiteren Aufführungen gekommen ist, ist fraglich. Einen Verleger fand Ries nicht für das Werk. Nach seinem Tod am 13. Januar 1838 verblieb das Manuskript im Besitz seiner Witwe Harriet. Nach deren Tod am 17. Januar 1863 gelangte es – wie alle ungedruckt gebliebenen Manuskripte ihres Mannes – in den Besitz ihres Schwagers Hubert Ries (1802-1886). Zu Beginn des Jahres 1864 unternahm Hubert Ries mehrere Versuche, die Ouvertüre und andere Werke seines Bruders zum Druck zu befördern. Er schrieb an namhafte Verlage (belegt: Schott in Mainz, Peters und Breitkopf & Härtel in Leipzig)[7] und pries die größeren zyklischen Werke seines Bruders als Kompositionen von „klassische[m] Werth[8] an. Zusätzlich veranstaltete er Matinéen, in denen er die nachgelassenen Werke seines Bruders vor einem geladenen Publikum von Musikern, Musikverständigen und Verlegern präsentierte.[9] Ein Verleger fand sich indes nicht.

Bert Hagels

[1] Die Werknummerierung folgt dem Werkverzeichnis von Cecil Hill; vgl. Cecil Hill: Ferdinand Ries. A Thematic Catalogue, Armidale/Australia 1977, S. 224.

[2] Ferdinand Ries an Joseph Ries, 15.11.1836; zitiert nach: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, bearbeitet von Cecil Hill, Bonn 1982 [im Folgenden abgekürzt als: BrDok], S. 736.

[3] Vgl. Myles Birket Foster, The History of the Philharmonic Society of London 1813-1912, London 1912, S. 144; Cyril Ehrlich, First Philharmonic. A History of the Royal Philharmonic Society, Oxford 1995, Appendix 2, S. 252.

[4]First performance in this country“, zit. nach Foster, op. cit., ebd.

[5] „Philharmonic Concerts“, in: The Musical World V (1837), S. 12: „After a second hearing, it is with reluctance we confess that M. Ries’s overture disappoints us: its title as announced in the programme is not responded to in the treatment of the subject. This to be sure is a question of feeling: nevertheless it wants repose, also an expression of indefiniteness and mystery, which is presumed such a theme would have suggested to an imaginative composer. The eminent pupil of Beethoven has not we think been felicitous.“

[6] Ferdinand Ries an Joseph Ries, Brief vom 7. April 1837 aus Paris; BrDok, S. 751-753; hier S. 752.

[7] Der Brief an Peters ist erhalten; vgl. BrDok, S. 799f. Die Briefe an Schott und Breitkopf & Härtel werden von Hubert Ries in einem Schreiben an Joseph Ries vom 19. April 1864 erwähnt; vgl. BrDok, S. 800.

[8] Hubert Ries an C. F. Peters, 15.03.1864; BrDok, S. 799.

[9] Vgl. den erwähnten Brief von Hubert Ries an Joseph Ries vom 19. April 1864; BrDok, S. 800f.

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