MUSICA OBLITA

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum

Fantasie C-Dur für großes Orchester op. 11 / NV 25

Unter der Nummer 25 und mit der Datierung „Alioschkina 1/13 July 1806“ trug Neukomm die chronologisch erste seiner vier in Russland entstandenen Fantaisies à grand Orchester in sein handschriftliches Werkverzeichnis ein. Die Datumsangabe „1/13 July“ meint nicht etwa den Zeitraum der Entstehung, sondern ist als alternative Datierung nach dem in Russland bis 1917 gültigen julianischen Kalender einerseits und nach dem in West- und Mitteleuropa geltendem gregorianischen Kalender andererseits aufzufassen: Neukomm hatte das Werk also am 13.07.1806 heutiger Zeitrechnung vollendet, ein Datum, das durch die Datierung am Schluss der autographen Partitur bestätigt wird. Mit dem Ort „Alioschkina“ ist, wie der Eintrag unter Nummer 24 aufklärt[1], das Landgut von Neukomms Freund Luginin in der Nähe von Tula gemeint; wahrscheinlich handelt es sich bei diesem Luginin um jenen Moskauer Mäzen, der ihm nach Aufgabe seiner Kapellmeisterstelle in St. Petersburg die oben zitierte, seinen Lebensunterhalt sichernde „Stellung“ garantierte. Neben dem Eintrag von Datierung und Titel ist die durch ein „NB“ hervorgehobene Anmerkung „Versuch eines neuen Genre[2] zu finden. Vorher hatte er bereits zwei andere Fantasien in sein Werkverzeichnis eingetragen, eine J. L. Dussek  gewidmete „Fantaisie pour Pianoforte et Flute“ (NV 18; 29.06./11.07.1805) und – unmittelbar vor der ersten Orchesterfantasie – eine „Fantaisie Sonate pour le Pianoforte“ (NV 24; 25.05./06.06.1806). Neukomm war sich also durchaus bewusst, dass er mit der Fantasie für Orchester nicht einfach eine andere Besetzung für eine ohnehin etablierte Gattung wählte, sondern dass er mit dieser Gattung einen gegenüber der herkömmlichen Gattung „Fantasie“ neuen Anspruch - man möchte ergänzen: einen sinfonischen Anspruch -  erhob. 

Obwohl der Entstehung nach Neukomms erstes Werk dieser Gattung wurde die  Orchesterfantasie in C-Dur im Herbst 1811[3] mit der opus-Nummer 11 als zweite Orchesterfantasie Neukomms publiziert; der Widmungsträger des Stimmdrucks ist Graf Auguste Laurent de Rémusat (1762-1823), der von Napoleon eingesetzte Intendant der großen Pariser Theater. Man geht sicherlich nicht fehl in der Annahme, dass diese Widmung im Zusammenhang mit Neukomms Bestreben während seiner ersten Pariser Jahre steht, an der Großen Oper zu reüssieren.

Dieser Fantasie war in der Veröffentlichung der Druck der Orchesterfantasie d-Moll op. 9 zu Ostern 1809 vorausgegangen, Neukomm hatte sie unmittelbar nach der C-Dur Fantasie komponiert und als Nr. 26 (datiert auf den 6. Dezember 1806 gregorianischer Rechnung) in sein Werkverzeichnis eingetragen. Die d-Moll-Fantasie hatte bei ihrer Leipziger Erstaufführung am 8. Dezember 1808 großen Erfolg gehabt; die Allgemeine musikalische Zeitung widmete dem Werk eine ausführliche Besprechung[4], und so war der Weg für Neukomms zweite in die Öffentlichkeit entlassene Orchesterfantasie gut bereitet. Die erste nachweisbare Aufführung der C-Dur-Fantasie fand am 20. Februar 1812 im Leipziger Gewandhaus statt. Der Bericht der Allgemeinen musikalischen Zeitung über Neukomms neues Werk fiel indes sehr viel kürzer aus als im Falle der d-Moll-Fantasie:

Phantasie für das ganze Orchester von Neukomm, No. 2., so eben im Stich erschienen - ist wieder ein ernstes, würdiges, gründlich ausgearbeitetes Werk dieses wackern Componisten, und allen musikal. Gesellschaften, die solche Arbeit schätzen können, sehr zu empfehlen. Es wurde nach Wunsch ausgeführt; und wir freuen uns im Einzelnen hier die, gewiss nicht leicht geschriebene, obligate Hoboe rühmen zu können.[5]

In Leipzig kam es zu mindestes einer weiteren Aufführung am 12. Mai 1816. Aufführungen dieser Orchesterfantasie in anderen Städten lassen sich nicht nachweisen; jedoch könnte es sich bei gelegentlich auf Programmzetteln und in Konzertbesprechungen zu findenden unspezifischen Angaben wie „Fantasie von Neukomm“ immer auch um das vorliegende Werk handeln.

Bert Hagels

[1] Vgl. Neukomm, „Verzeichnis meiner Arbeiten in chronologischer Ordnung, angefangen im Monath Jänner 1804, im 26. Jahr meines Alters“, Faksimile einer von Neukomms Bruder Anton Simon Thadée (1793–1873) verfassten Kopie des im Original verschollenen Verzeichnisses, in: Rudolph Angermüller, Sigismund Neukomm. Werkverzeichnis, Autobiographie, Beziehung zu seinen Zeitgenossen (= Musikwissenschaftliche Schriften Bd. 4), München–Salzburg 1977, S. 57-243, hier S. 61.

[2] Über Neukomms Orchesterfantasien und ihr Verhältnis zur Gattung Sinfonie vgl. Christoph Hust, 'Gründlich und mit Geschmack gesezt'. Untersuchungen zur Sinfonie im nördlichen Deutschland um 1790, Göttingen 2011, S.431-445. 

[3] Vom Verlag Breitkopf & Härtel angezeigt im Verzeichnis der Leipziger Michaelis-Messe 1811 und im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen vom 15.12.1811.

[4] Vgl. AmZ 11 (1808/09), Sp. 207-208.

[5] „Leipzig“, in: AmZ 14 (1812), Sp. 242-247; hier Sp. 243.

Home        

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum